Kontakt

Ob Sie lieber eine E-Mail senden, zum Telefon greifen oder das gute alte Fax nutzen. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.

Anruf unter
+49 711 86040 00
Fax unter
+49 711 86040 01

Bundesverfassungsgericht entscheidet zu Beschlagnahme von Compliance-Unterlagen in Anwaltskanzlei

Fachbeiträge

Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 27. Juni 2018 entschieden, dass ausländische Kanzleien keinen Grundrechtsschutz nach dem Grundgesetz vor der Beschlagnahme von Compliance-Unterlagen in Kanzleiräumlichkeiten genießen.

 

Geklagt hatte die internationale Sozietät Jones Day gegen die Beschlagnahme von Unterlagen aus internen Ermittlungen des Volkswagen-Konzerns. Die Staatsanwaltschaft München II hatte in den Büros der Anwaltskanzlei Unterlagen beschlagnahmt, die Erkenntnisse enthalten, die die Kanzlei in Befragungen, Unterlagensichtungen und Auswertungen zum sogenannten Diesel- Skandal gewonnen hatte.

 

Begründet hat das Bundesverfassungsgericht die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde mit dem Argument, dass die als US-amerikanische LLP organisierte Kanzlei als ausländische juristische Person gemäß Art. 19 Abs. 3 GG nicht grundrechtsberechtigt sei. Da die Kanzlei mit Stammsitz in Cleveland/Ohio (USA) und 30 Standorten weltweit nur drei deutsche Büros habe, könne auch faktisch ausgeschlossen werden, dass der Sitz der Gesamtkanzlei in Deutschland liege. Dass einzelne Partner die deutsche Staatsbürgerschaft haben, sei irrelevant.

Im Umkehrschluss ergibt sich aus der Entscheidung, dass die nach dem Grundgesetz zugesicherten Verteidigungsrechte nur für deutsche Kanzleien uneingeschränkt anwendbar sind. Dies spielt insbesondere in internen Ermittlungen, in deren Rahmen Unterlagen mit Bezug zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht in Anwaltsbüros eingelagert werden, eine entscheidende Rolle. Sowohl in Straf- als auch Kartellverfahren sind die Regelungen der Strafprozessordnung anwendbar. Dabei können die nachfolgenden Grundsätze als Faustformeln herangezogen werden:

  1. Handelt es sich bei Beschuldigten um natürliche Personen, gilt das Beschlagnahmeverbot von Unterlagen in den Räumlichkeiten deutscher Anwaltskanzleien nach § 97 StPO. Klassischerweise sind davon Unterlagen, die Tatvorwürfe untermauern, rechtliche Bewertungen sowie Protokolle über Gespräche mit Verdächtigen und Zeugen im Rahmen interner Ermittlungen erfasst. Für beschuldigte natürliche Personen gilt im Übrigen das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.
  2. Das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass die Verteidigungsrechte nach dem Grundgesetz auch für Nichtbeschuldigte in einem Strafverfahren gelten, wenn sie durch eine Durchsuchung in eigenen Rechten betroffen sind. Dies dürfte auf Personen zutreffen, die im Rahmen interner Ermittlungen Angaben zu einem möglichen Tatverdacht ihrerseits oder von Dritten gemacht haben. Hingegen gilt dieser Grundrechtsschutz nicht für die befragenden Rechtsanwälte.
  3. Inwieweit beschlagnahmte Unterlagen deutscher Unternehmen von dem Grundrechtsschutz nach Artikel 19 Abs. 3 GG umfasst sind, ist nicht abschließend geklärt. Allerdings finden die Regelungen der StPO jedenfalls dann, wenn sich Sanktionsnormen direkt gegen Unternehmen richten, entsprechend Anwendung. Dies gilt insbesondere in Kartellverfahren.
  4. Hinsichtlich der Anwendung des Beschlagnahmeverbots ist nach dem neuen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zwischen dem Interesse der Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse abzuwägen. Ein generelles Beschlagnahmeverbot für Unterlagen in Anwaltskanzleien gilt insbesondere dann, wenn die Beschlagnahme mit einem Eingriff in den Schutzbereich der Menschenwürde von natürlichen Personen verbunden ist. Darüber hinaus ist eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Allein die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege und seine Teilnahme an der Verwirklichung des Rechtsstaates rechtfertigen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts kein generelles Beschlagnahmeverbot für Unterlagen in deutschen Anwaltskanzleien. Im Übrigen ist eine Beschlagnahme unzulässig, wenn Beweismittel in der Anwaltskanzlei aufgespürt werden sollen, die dem Vertrauensverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und einem im konkreten Strafverfahren Beschuldigten unterfallen.
  5. Soweit es sich bei den im Rahmen von internen Ermittlungen befragten Personen nicht um Beschuldigte im strafrechtlichen Sinne handelt, greift das Beschlagnahmeverbot weder im Unternehmen noch in der Rechtsanwaltskanzlei ein. Anderenfalls bestünde nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ein hohes Missbrauchspotenzial, dass Unterlagen zwecks Verhinderung einer Beschlagnahme in Anwaltskanzleien verschoben werden. Den Ermittlungsbehörden würde dadurch die Möglichkeit genommen, stichhaltige Verdachtsmomente für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in Unternehmen belegen zu können.

Kurz gesagt: Unterlagen von Beschuldigten in Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren sind in Räumlichkeiten deutscher Rechtsanwaltskanzleien weitgehend vor einer Beschlagnahme geschützt. Die Unterlagen von Nichtbeschuldigten sind nur insoweit geschützt, soweit diese in eigenen Grundrechten betroffen sind. Im Übrigen können Anwaltsbüros nach dem Originalwortlaut des Bundesverfassungsgerichts nicht als „Safehouse für Spuren noch nicht entdeckter Straftaten“ genutzt werden. Belastende Unterlagen dürfen den Strafverfolgungsbehörden nicht dadurch entzogen werden, dass sie in Räumlichkeiten von Anwaltskanzleien verlagert werden.

Zurück