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Altes Ziel, neue Herausforderungen: die europäische Entgelttransparenzrichtlinie
Obwohl der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und der darauf aufbauende Equal-Pay-Anspruch dem Grunde nach bereits seit 1957 besteht, spielte er in der betrieblichen Praxis lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle. Mit Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) im Jahr 2017 nahmen mehr und mehr Beschäftigte die damit verbundenen Rechte wahr, und die Entwicklungen in diesem Bereich sind längst nicht abgeschlossen: Mit der neuen Entgelttransparenzrichtlinie (RL (EU) 2023/970, EntgTranspRL) vom 10. Mai 2023 werden vornehmlich die Anforderungen an die Arbeitgeberseite deutlich ausgeweitet.
Die Methodik
Mit der EntgTranspRL werden Arbeitgeber ausdrücklich verpflichtet, nur solche Vergütungsstrukturen zu verwenden, die auf „objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien“ beruhen (Art. 4). Diese Kriterien sollen in Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretern aufgestellt werden und Faktoren enthalten, die für den konkreten Arbeitsplatz bzw. die konkrete Position relevant sind (namentlich Kompetenz, Arbeitsbelastung, Verantwortung, Arbeitsbedingungen). Damit eine Grundlage zur Bewertung der gleichen oder gleichwertigen Arbeit besteht, sollen Instrumente und Methoden zur Analyse des Werts der Arbeit geschaffen werden.
Erweiterung der Informations- und Auskunftsverpflichtungen der Arbeitgeber
Die EntgTranspRL führt in erster Linie zu einer Ausweitung der Informations- und Auskunftsverpflichtungen der Arbeitgeber. Bereits die derzeitige Fassung des § 10 EntgTranspG sieht einen Auskunftsanspruch gegen den jeweiligen Arbeitgeber vor. Richtet sich dieser bisher nur gegen größere Unternehmen (> 200 Beschäftigte), wird in Zukunft jedes Unternehmen davon betroffen sein. Auch bisherige Einschränkungen (etwa bei kleinen Vergleichsgruppen) entfallen restlos.
Ein Novum ist die Ausweitung der Auskunftsverpflichtung auf die Bewerbungsphase. Arbeitgeber sollen verpflichtet werden, Bewerbern Informationen über das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhende Einstiegsentgelt für die zu besetzende Stelle bereitzustellen (Art. 5 Abs. 1). Diese Information soll nicht erst auf Nachfrage, sondern proaktiv gegeben werden (z.B. in der Stellenanzeige oder bei Beginn eines Bewerbungsgesprächs). Zudem wird es Arbeitgebern zukünftig untersagt sein, Bewerber nach ihrem bisherigen Gehalt zu befragen (Art. 5 Abs. 2).
In Abweichung von der bisherigen Rechtslage ist auch nicht mehr das sog. Median(vergleichs)entgelt anzugeben, sondern stattdessen der statistische Durchschnitt (Art. 7 Abs. 1). Das Auskunftsverlangen soll über eine Arbeitnehmervertretung, eine Gleichbehandlungsstelle oder im direkten Kontakt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfolgen können (Art. 7 Abs. 2). Arbeitgeber werden zudem verpflichtet, die Beschäftigten jährlich über die Möglichkeit des Auskunftsanspruchs und dessen Durchsetzungsoptionen zu informieren (Art. 7 Abs. 3). Dem Auskunftsverlangen der Beschäftigten ist spätestens zwei Monate, regelmäßig aber „innerhalb einer angemessenen Frist“ nach Stellung des Antrags nachzukommen (Art. 7 Abs. 4). Für den Fall, dass Arbeitnehmer ihre Rechte aus dem Grundsatz der Entgeltgleichheit verletzt sehen, obliegt dem Arbeitgeber die Beweislast, dass eine solche Entgeltdiskriminierung nicht vorliegt (Art. 18).
Unternehmen haben neuen Berichtspflichten nachzukommen
Mit der EntgTranspRL werden bestehende Berichtspflichten erweitert und gänzlich neue eingeführt. Arbeitgeber mit mehr als 100 Beschäftigten haben in bestimmten (gestaffelten) Fristen und (Mindest-)Abständen Bericht zu erstatten über das Entgeltgefälle zwischen ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (Art. 9). Wird hierbei ein Entgeltgefälle von 5% oder mehr in einer Gruppe von Arbeitnehmern festgestellt, kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitgeber das Entgeltgefälle auf Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien rechtfertigen kann. Gelingt dies nicht und korrigiert der Arbeitgeber das Entgeltgefälle nicht innerhalb von sechs Monaten, muss eine gemeinsame Entgeltbewertung mit der Arbeitnehmervertretung vorgenommen werden (Art. 10 Abs. 1). Kommen Arbeitgeber diesen Verpflichtungen nicht nach, drohen ihnen Sanktionen (vornehmlich in Form von Geldbußen).
Betriebliche Praxis ist an die neuen Anforderungen anzupassen
Für die betriebliche Praxis gilt es, sich rechtzeitig auf die anstehenden Änderungen einzustellen. Die Umsetzungsfrist der EntgTranspRL beträgt drei Jahre. Eine nationale Umsetzung in das EntgTranspG hat spätestens zum 7. Juni 2026 zu erfolgen. Für alle Unternehmen ist es essenziell, vorhandene wie künftig zu schaffende Stellen zu evaluieren. Sollten geschlechtsspezifische Entgeltdifferenzen erkannt werden, sind mögliche Rechtfertigungen (besondere Qualifikationen, Stellenbesetzung bei schlechter Arbeitslage, etc.) gerichtsfest zu dokumentieren.
Insbesondere Unternehmen, die keiner Tarifbindung unterliegen, sollten im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast transparente und diskriminierungsfreie betriebliche Entgeltsysteme einführen (ggf. unter Beteiligung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Bestehen in Unternehmen bereits kollektivrechtliche Vergütungssysteme, sind diese auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der EntgTranspRL hinsichtlich Transparenz, Nachvollziehbar- und Überprüfbarkeit zu kontrollieren.
Fazit
Die konkrete Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht steht noch aus. In vielen Punkten verbleibt dem deutschen Gesetzgeber jedoch wenig bis kein Handlungsspielraum, weshalb mit einer weitgehenden Übernahme der EntgTranspRL zu rechnen ist. Unternehmen sollten daher zeitnah mit der Überprüfung ihrer Entgeltstrukturen beginnen, um eine reibungslose Umsetzung zu gewährleisten.