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Zivilprozessordnung – Gerichtstermine 4.0?
Nach langem Ringen konnten sich Bundesrat und Bundestag in dieser Woche final auf eine viel diskutierte Änderung der Zivilprozessordnung (ZPO) einigen, die die Durchführung von Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz künftig deutlich erleichtern soll.
Der Hintergrund
Die Ampelkoalition hat bereits im Koalitionsvertrag 2021 festgehalten:
Gerichtsverfahren sollen schneller und effizienter werden: Verhandlungen sollen online durchführbar sein, Beweisaufnahmen audio-visuell dokumentiert und mehr spezialisierte Spruchkörper eingesetzt werden.
Videoverhandlungen vor Gericht sind grundsätzlich seit 2002 im Gesetz verankert, 2013 wurde die Regelung des § 128a ZPO zuletzt reformiert. Während der Corona-Pandemie wurde die Norm erstmals stark auf die Probe gestellt und war selbst Gegenstand diverser gerichtlicher Entscheidungen.
Die Debatte um virtuelle Gerichtsverhandlungen
Die Bundesregierung legte 2023 den „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“ vor. Durch eine Änderung von § 128a ZPO sollte der Einsatz von Videokonferenztechnik vor Gericht gefördert werden. Die Durchführung von Videoverhandlungen sei „Ausdruck einer modernen, digitalen und bürgernahen Justiz“ (BT-Drucks. 20/9354).
§ 128a ZPO sieht bisher vor, dass ein Gericht auf Antrag der Parteien gestatten kann, die Verhandlung teilweise auf virtuellem Wege durchzuführen.
Der Entwurf sah vor, § 128a ZPO dahingehend zu ändern, dass Gerichte die virtuelle Teilnahme von Verfahrensbeteiligten von Amts wegen anordnen können. Auf Antrag einer Partei sollten Gerichte solches sogar tun. Eine Ablehnung sollte begründet werden. Bei einer virtuellen Teilnahme durch alle Verfahrensbeteiligten hätte auch für das Gericht die Möglichkeit bestanden, die Verhandlung von einem anderen Ort, etwa aus dem Homeoffice, zu leiten. Die Öffentlichkeit sollte durch Übertragung der Verhandlung in den Gerichtssaal gewährleistet sein.
Der Bundesrat störte sich an dem begrenzten Ermessen, das Gerichte bei der Entscheidung über virtuelle Gerichtsverhandlungen hätten ausüben können. In der Anrufung des Vermittlungsausschusses führte der Bundesrat aus:
„Die mündliche Verhandlung ist das Herzstück eines jeden Gerichtsprozesses. Daher kommt ihrer Gestaltung eine herausragende Bedeutung bei der Wahrheitsfindung zu.“ (BR-Drucks. 604/23).
Der Bundesrat wollte verhindern, dass auf Antrag der Parteien eine Videoverhandlung durchgeführt werden soll oder muss, es sollte bei einer kann-Vorschrift bleiben. Auch sollte das Gericht eine ablehnende Entscheidung nicht begründen müssen. Die Leitung einer Verhandlung aus dem Homeoffice werde außerdem „der besonderen Bedeutung der Gerichtsverhandlung als Grundlage der gerichtlichen Entscheidung nicht gerecht und widerspricht der Außendarstellung der Justiz und dem Ansehen der Gerichte als Institution.“ (BR-Drucks. 604/23).
Videoverhandlungen – das Ergebnis
Der Vermittlungsausschuss verabschiedete am 12. Juni 2024 einen Einigungsvorschlag, welchen Bundesrat und Bundestag am heutigen 14. Juni 2024 bestätigt haben. Das Gesetzgebungsverfahren ist damit abgeschlossen, lediglich die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten steht noch aus.
Der neue § 128a ZPO sieht vor, dass mündliche Verhandlungen „in geeigneten Fällen und soweit ausreichende Kapazitäten zur Verfügung stehen als Videoverhandlung stattfinden“ können (§ 128a Abs. 1 S. 1 ZPO gemäß BT-Drucks. 20/11770). Eine Videoverhandlung soll also nur dann möglich sein sollen, wenn es im Einzelfall zum Verfahren passt und das Gericht entsprechend ausgestattet ist. In diesem Fall kann das Gericht eine Videoverhandlung gestatten oder anordnen.
Gegen die Anordnung ist der Einspruch statthaft. Beantragt eine Partei die Videoverhandlung, soll das Gericht ihm bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen stattgeben.
Während der oder die Vorsitzende die Videoverhandlung aus dem Gerichtssaal leiten soll, kann anderen Mitgliedern des Gerichts die Teilnahme per Bild- und Tonübertragung gestattet werden, sofern dafür Gründe vorliegen.
Das Gesetz enthält zudem eine Ermächtigung für Bund und Länder, testweise vollvirtuelle Gerichtsverhandlungen zuzulassen, in denen sich weder Gericht noch Parteien im Gerichtssaal aufhalten. Diese sollen zum „Zwecke ihrer Erprobung“ (BT-Drucks. 20/11770) dann möglich sein, wenn sowohl Parteien als auch Gericht damit einverstanden sind.
Unser Fazit zur Digitalisierung im Zivilverfahren
Die künftig größere Flexibilität für Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung ist begrüßenswert. Videoverhandlungen sparen Ressourcen, Kosten und Zeit. Dass sich nicht alle Verhandlungstermine für eine virtuelle Durchführung eignen, versteht sich von selbst. Gerade bei absehbar kurzen und wenig komplexen Terminen kann aber eine Videoverhandlung für alle Beteiligten von Vorteil sein.
Fraglich ist aber, ob die Reform des § 128a ZPO wirklich zu einem spürbaren Anstieg der Videoverhandlungen führen wird. In der Praxis scheiterten Videoverhandlungen auch vor der Reform selten am fehlenden Einverständnis der Parteien. Hindernisse sind erfahrungsgemäß eher die unzureichende technische Ausstattung der Gerichte und die fehlende Übung. Entscheidend wird also auch in Zukunft sein, die Digitalisierung des Zivilverfahrens mit den nötigen Ressourcen und einem entsprechenden Mindset voranzutreiben.
Wie geht es weiter?
Noch bevor der Vermittlungsausschuss über den Entwurf beraten konnte, läutet die Regierung die nächste Runde in der Digitalisierung von Gerichtsverfahren ein. Das Bundesministerium der Justiz legte am 11. Juni 2024 einen Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Gerichtsverfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit“ vor. Dieser umfasst einen Vorschlag für gänzlich digitale Gerichtsverfahren im Bereich der niedrigen Streitwerte. Es bleibt also spannend.