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Vorherige unverschlüsselte Angebotsübermittlung per E-Mail: Zwingender Angebotsausschluss?
Öffentliche Auftraggeber dürfen gem. § 55 Abs.1 VgV vom Inhalt der Angebote erst nach Fristablauf Kenntnis nehmen. Durch den Einsatz von Vergabeplattformen kann sichergestellt werden, dass eine verfrühte Kenntnisnahme von Angebotsinhalten technisch nicht möglich ist. Problematisch sind jedoch jene Fälle, in denen ein Bieter zunächst ein unverschlüsseltes Angebot per E-Mail einreicht und anschließend, nachdem die Vergabestelle auf den Formmangel hingewiesen hat, sein Angebot über die Vergabeplattform übermittelt. Ob in dieser Konstellation auch das frist- und formgerecht eingereichte Angebot über die Vergabeplattform vom Verfahren auszuschließen ist, hat das OLG Frankfurt nun entschieden.
Sachverhalt
Mit europaweiter Auftragsbekanntmachung schrieb der Antragsgegner (öffentlicher Auftraggeber) den Abschluss von Rahmenvereinbarungen zur Beauftragung von Sachverständigen zur Erstellung von Gutachten im Wege eines offenen Verfahrens aus. Das Vergabeverfahren wurde elektronisch abgewickelt. Angebote sollten elektronisch in Textform über die Vergabeplattform eingereicht werden.
Entgegen der eindeutigen Vorgaben übermittle der Antragsteller (Bieter) sein Angebot zunächst unverschlüsselt per E-Mail. Die E-Mail enthielt das Anschreiben; das Angebot selbst war als Anlage der E-Mail beigefügt. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass Angebote digital über die Vergabeplattform einzureichen seien. Die E-Mail würde für dieses Verfahren als gegenstandslos angesehen und finde keine Berücksichtigung. Innerhalb der Angebotsfrist reichte der Antragsteller sodann über die E-Vergabeplattform erneut sein Angebot, diesmal verschlüsselt, ein.
Der Antragsgegner schloss sowohl das per-Email eingereichte Angebot als auch das über die Vergabeplattform übermittelte Angebot aus. Als Begründung führte er an, dass das erste per E-Mail übermittelte Angebot mangels Einhaltung der Formvorschriften unwirksam sei. Das zweite form- und fristgerecht eingereichte Angebot sei deshalb auszuschließen, weil dieses von dem ersten unverschlüsselten Angebot „infiziert“ werde.
Der Antragsteller rügte den Angebotsausschluss als vergaberechtswidrig und leitete ein Nachprüfungsverfahren ein. Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag statt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vor dem Oberlandesgericht.
Die Entscheidung
In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg! Der Vergabesenat hat entschieden, das über die Vergabeplattform eingereichte Angebot der Antragstellerin nicht auszuschließen, sondern in der Wertung zu belassen. Da das zweite Angebot form- und fristgerecht bei der Antragsgegnerin eingegangen ist, liege kein Ausschlussgrund nach §§ 57 Abs. 1 Nr. 1, 53 VgV vor.
Das Angebot ist auch nicht deshalb von der Wertung auszuschließen, da zuvor ein Angebot unverschlüsselt per E-Mail übermittelt worden war. Denn das formwirksam eingereichte Angebot wird durch das zuvor formwidrig eingereichte Angebot nicht „infiziert".
Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs nach § 55 Abs. 1 VgV vor. Danach darf der öffentliche Auftraggeber vom Inhalt der Angebote erst nach Fristablauf Kenntnis nehmen. Die Norm soll einen unverfälschten Wettbewerb sicherstellen. Diese Ziele werden vorliegend durch das zunächst per E-Mail eingereichte Angebot nicht in einer Weise tangiert, dass – unter Berücksichtigung des in § 97 Abs. 1 GWB niedergelegten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – das über die Vergabeplattform eingereichte Angebot von der Wertung auszuschließen ist.
Dies stehe auch in Einklang mit dem fakultativen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB, der eine besondere Ausprägung des Geheimwettbewerbs enthält. Demnach kommt der Ausschluss eines Angebotes nur in Betracht, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung vorliegen. Da es vorliegend nicht zur Kenntnisnahme vom Inhalt des per E-Mail eingereichten Angebotes durch Dritte kam und der Antragsgegner nach Eingang der E-Mail selbst darauf hingewiesen hat, dass die E-Mail nicht berücksichtigt und damit als nicht vorhanden behandelt werde, bestanden zu keiner Zeit Risiken, die einen Angebotsausschluss wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs rechtfertigen würden.
Praxistipp
Im Gegensatz zum OLG Karlsruhe (Beschluss vom 17.03.2017 - 15 Verg 2/17) geht der Vergabesenat davon aus, dass Angebote, die vor Fristablauf zunächst per E-Mail übermittelt wurden, ein nachfolgendes Angebot, das frist- und formgerecht über die Vergabeplattform eingereicht wird, nicht „infizieren“. Zur Vermeidung einer zu starren rein formalisierenden Anwendung des Vergaberechts kommt ein Angebotsausschluss zur Wahrung des Geheimwettbewerbs jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn nachträgliche Manipulationen ohne vernünftige Zweifel ausgeschlossen werden können.
Ob sich die Auffassung des OLG Frankfurt in der vergaberechtlichen Rechtsprechung durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Öffentliche Auftraggeber aus Baden-Württemberg sollten die Entscheidung jedoch mit Vorsicht genießen und sich im Zweifel an der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe orientieren. Demnach wäre vorliegend auch das zweite Angebot von der fehlenden Verschlüsselung des ersten Angebots „infiziert“ worden. Der unheilbare Mangel hätte zwingend zum Ausschluss des über die Vergabeplattform form- und fristgerecht hochbeladenen Angebots geführt.
Maßgebliche Entscheidung: OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.02.2020 – AZ. 11 Verg 7/19