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Stuttgart eröffnet Commercial Court
Das Ländle rüstet auf. Im Wettstreit mit anderen Staaten um große internationale Wirtschaftsstreitigkeiten richtet Baden-Württemberg an den Standorten Stuttgart und Mannheim neue Wirtschaftskammern ein. Als möglicher Brexit-Profiteur soll ein solches Commercial Court vor allem London das Wasser abgraben, einem der beliebtesten Austragungsorte für internationale Gerichts- und Schiedsverfahren. In der EU gibt es ähnliche Ansätze bereits in Frankfurt, Hamburg, Paris, Amsterdam und Brüssel. Die neuen Landgerichtskammern nehmen im November 2020 ihre Arbeit auf.
Was ist neu?
Das Commercial Court soll sich auf komplexe internationale Wirtschaftsstreitigkeiten spezialisieren. Seine Zuständigkeit wird nur bei übereinstimmender Erklärung beider Parteien begründet. Die Landesregierung verspricht eine besonders effiziente Verfahrensführung unter Einsatz moderner Kommunikationsmittel (zum Beispiel Zeugenvernehmung per Videokonferenz). Verhandlungen können in englischer Sprache geführt werden. Die genaue Umsetzung im Geschäftsverteilungsplan der Landgerichte steht noch aus. Klar ist jedoch, dass sich das Commercial Court innerhalb der bestehenden Grenzen des deutschen Prozessrechts bewegen wird. Sinnvolle, nach Gerichtverfassungsgesetz (GVG) und Zivilprozessordnung (ZPO) bereits zulässige, in der Praxis aber eher selten genutzte Möglichkeiten virtueller, mehrsprachiger und effizienter Verfahrensführung dürften zur Regel werden. Eine entsprechende technische Ausstattung und eine qualifizierte personelle Besetzung ist zu erwarten. Der Commercial Court Stuttgart soll in Flughafennähe am Campus Fasanenhof einziehen. Als zweites Standbein hat sich daneben Mannheim wegen seiner Erfahrung in internationalen Patentstreitigkeiten angeboten.
Konkurrenz für London?
Dass Schwaben und Badener nun bald London als Drehscheibe internationaler Wirtschaftsprozesse und Schiedsverfahren den Rang ablaufen, erwartet wohl niemand – nicht einmal die Politik, deren erklärtes Ziel es ist, große Wirtschaftsstreitigkeiten wieder häufiger vor staatlichen Zivilgerichten austragen zu lassen. Eine echte Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit kann das Commercial Court nicht sein. Dafür bleiben seine eher zaghaften Reformansätze viel zu weit hinter den weitreichenden Forderungen der Praxis zurück. Verfahren werden weder vertraulich geführt noch vollständig auf Englisch. Weiterhin müssen sämtliche Schriftsätze, Verfügungen und Entscheidungen in deutscher Sprache abgefasst sein. Wortlautprotokolle sind ebenso unüblich wie Kreuzverhöre oder schriftliche Zeugenaussagen. Vor allem aber kann ein staatliches Gericht niemals den Grad weltweiter Anerkennung und Vollstreckung seiner Entscheidungen erreichen, wie ihn die New Yorker Konvention für Schiedssprüche gewährleistet. Daran wird auch der Brexit nichts ändern. Anders liegt es bei staatlichen Gerichtsentscheidungen. Mit dem EU-Austritt könnte London die unkomplizierte Vollstreckbarkeit britischer Gerichtsurteile in anderen EU-Mitgliedstaaten einbüßen. Unternehmen werden deshalb auf andere europäische Staaten als Austragungsort internationaler gerichtlicher Streitigkeiten ausweichen. Insofern ist die Einrichtung von Commercial Courts, die Deutschland im europäischen Wettbewerb in Stellung bringen, konsequent und richtig.
Fazit
Die Einrichtung von Commercial Courts stärkt den Justizstandort Deutschland. Überzogen formulierte Erwartungen gefährden aber ihren Erfolg. In der internationalen Schieds-Community werden internationale Wirtschaftskammern, wie sie in Frankfurt und Hamburg schon seit 2018 arbeiten, eher belächelt. Ihre große Chance liegt aber in einer branchenspezifischen Spezialisierung, im Aufbau von best practices im Umgang mit internationalen Sachverhalten und in einem besseren Marketing für den Justizstandort Deutschland. Ausländische Vertragspartner kann die Existenz eines international ausgerichteten und englisch verhandelnden Commercial Courts durchaus überzeugen, sich auf einen deutschen Gerichtsstand einzulassen. An sich genießen deutsche Gerichte im Ausland einen exzellenten Ruf. Sie gelten als kompetent, effizient, flexibel, kalkulierbar und korruptionsfrei. Gut Ding will Weile haben. Es liegt nun nicht zuletzt an Unternehmen und Rechtsanwälten, das erweiterte Angebot der Justiz zu nutzen, damit sich ein deutsches Commercial Court internationale Anerkennung erarbeiten kann.