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Sind Planungsleistungen künftig zunehmend europaweit auszuschreiben?

Öffentliche Hand
Sind Planungsleistungen künftig zunehmend europaweit auszuschreiben?

Bereits vor Jahren ist ein eine heiße Debatte um die nationale Normierung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV entbrannt, wonach lediglich die Werte von „gleichartigen“ Planungsleistungen bei der Auftragswertschätzung zu addieren sind. Trotz sich hierzu kritisch äußernder Entscheidungen (EuGH, Urt. v. 15.01.2012, C‑574/10); OLG München, Beschl. v. 13.03.2017 – Verg 15/16; VK Westfalen, Beschl. v. 18.12.2019 – VK 1-34/19), die eine funktionale Betrachtungsweise für erforderlich hielten, fand diese Handhabung in der vergaberechtlichen Praxis rege Anwendung. So wurden bis zuletzt Planungsleistungen mit unterschiedlichen Leistungsbildern bei der Auftragswertschätzung oftmals nicht zusammengerechnet.

Die EU-Kommission moniert die Vorschrift nach § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV in dem seit 2019 andauernden Vertragsverletzungsverfahrens und sieht darin einen Rechtsverstoß gegen höherrangiges Recht. Denn das europäische Vergaberecht – hier die RL 2014/24/EU – sieht eine Beschränkung der Addition von Planungsleistungen auf lediglich „gleichartige Leistungen“ nicht vor.

In Hinblick auf eine drohende Streichung der Vorschrift wandten sich Bundesländer und (Spitzen-)Verbände aus dem Bauwesen Ende 2022 mit verschiedenen Schreiben an die Bundesregierung und appellierten, nicht im „vorauseilenden Gehorsam“ den Argumenten der Kommission zu folgen, sondern eine Klärung durch den EuGH herbeizuführen, mit dem Ziel, die ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation im Planungs- und Bausektor nicht zusätzlich durch aufwendige Vergabeverfahren auf europäischer Ebene zu erschweren. Gleichzeitig thematisierten die Verfasser diverse Reformvorschläge und votierten u.a. für die Einführung eines Sonderschwellenwerts für Planungs- und freiberufliche Leistungen oder zumindest die Erfassung von Planungsleistungen als soziale und andere besondere Dienstleistungen gemäß Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU (derzeitiger Schwellenwert: EUR 750.000 netto).

Die Bemühungen gegen die Aufhebung der Normierung erhielten Ende Februar 2023 jedoch einen erheblichen Dämpfer, als das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) den Referentenentwurf einer Verordnung zur Anpassung des Vergaberechts veröffentlichte. Als „europarechtlich erforderliche Anpassung des nationalen Vergaberechts“ sieht der Entwurf u.a. die Aufhebung des § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV vor. In der entsprechenden Begründung verweist das BMWK auf einen lediglich deklaratorischen Charakter der Vorschrift.

Ausschlaggebend für die Ermittlung des Auftragswertes seien allein die Grundregeln in § 3 Abs. 1 und Abs. 7 Satz 1 VgV. Dem voraussichtlichen Gesamtwert der Leistung sei der Wert aller Lose zu Grunde zu legen, wobei für die Auftragswertberechnung von Planungsleistungen eine Zusammenrechnung einzelner Planungsleistungen nach der wirtschaftlichen und technischen Funktion der Leistungen zu erfolgen habe. Insoweit beruft sich das BMWK auf die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7318, S. 148) und die ständige Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 15.01.2012, C‑574/10).

Als Reaktion auf den Referentenentwurf wandten sich Anfang März 2023 die Kammern und Verbände der planenden Berufe sowie des Bundesverbandes der freien Berufe mit einer Stellungnahme an die Bundesregierung und forderten diese nachdrücklich dazu auf, zunächst die Entscheidung des EuGH in dem Vertragsverletzungsverfahren abzuwarten.

Trotz der vehementen Kritik aus der Wirtschaft legte die Bundesregierung einen Entwurf der Verordnung (BT-Drs. 20/6118) am 22. März 2023 dem Bundestag zur Abstimmung vor.

Praxishinweis

Der Vorstoß durch die Entwurfsvorlage an den Bundestag, lässt eine eindeutige Tendenz dahingehend erkennen, dass die Aufhebung von § 3 Abs. 7 Satz 2 VgV umgesetzt wird. Eine abschließende Entscheidung steht hierzu aber noch aus.

Die Aufhebung dürfte der langjährigen Vergabepraxis, nach der die HOAI-Leistungsbilder als strenge Additionsgrenze bei Planungsleistungen verwendet wurden, jedoch endgültig die Grundlage entziehen. Öffentliche Auftraggeber und Planungsbüros müssten sich in diesem Fall auf eine zunehmende europaweite Ausschreibungspflicht bei der Vergabe von Planungsleistungen einstellen.

Auftraggebern bleiben gleichwohl weiterhin Möglichkeiten offen, um den Vorgaben des EU-Vergaberechts zu entgehen. So können Planungs- und Bauleistungen bei einer entsprechenden Begründung gesamthaft vergeben werden. In diesen Fällen können die Leistungen bis zu einem Auftragswert in Höhe EUR 5.382.000 netto national vergeben werden. Überdies kann auch bei der Ausschreibung von Planungsleistungen von der Sondervorschrift nach § 3 Abs. 9 VgV (80/20-Regel) Gebrauch gemacht werden. So kann im Einzelfall eine Planungsdisziplin, deren Auftragswert maximal 20 Prozent des Gesamtauftragswert beträgt und nicht höher als EUR 80.000 netto liegt, nach nationalem Vergaberecht, der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO), ausgeschrieben werden.

Mit Spannung bleibt auch abzuwarten, ob und inwieweit die Bundesregierung die zahlreichen konstruktiven Vorschläge der Verbände zur Reform des Vergaberechts – insbesondere mit Blick auf die Schwellenwerte – aufgreift und sich für eine europaweite Lösung einsetzt.

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