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Schon der „böse Schein“ eines Interessenkonflikts muss bei der Vergabe von Wege-nutzungsrechten nach § 46 EnWG vermieden werden
Für die Vergabe von Wegenutzungsrechten zur Strom- und Gasversorgung ist nicht das europäische Vergaberecht, sondern das energiewirtschaftliche Sonderregime nach § 46 EnWG maßgeblich. Ein Inhouse-Privileg wie im europäischen Vergaberecht gibt es hier nicht (vgl. § 46 Abs. 5 EnWG). Beteiligt sich ein Eigenbetrieb oder eine Eigengesellschaft einer Gemeinde am Wettbewerb um die Vergabe von Wegenutzungsrechten, ist ein strenges Gebot zur personellen und organisatorischen Trennung zwischen „Vergabestelle“ und Eigenbetrieb/-gesellschaft zu beachten. Schon der „böse Schein“ eines Interessenkonflikts macht das Konzessionsvergabeverfahren angreifbar.
Sachverhalt
Ein privates Unternehmen (Klägerin) war Konzessionärin der Wegenutzungsrechte für die Strom- und Gasversorgung in der beklagten Stadt. Die Stadt initiierte – insoweit korrekt – ein Verfahren zur Neuvergabe der Wegenutzungsrechte nach § 46 EnWG. An dem Verfahren beteiligten sich die Klägerin sowie die Stadtwerke, eine Eigengesellschaft der Stadt.
Der Kämmerer der Stadt war zugleich Geschäftsführer der Stadtwerke. Er war zwar nicht unmittelbar mit der Durchführung des Vergabeverfahrens betraut. Der ihm vorstehende Büroleiter der Bürgermeisterin sowie ein in der Abteilung des Kämmerers tätiger Mitarbeiter nahmen jedoch Aufgaben der Vergabestelle wahr.
Die Entscheidung
Der BGH hatte über die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Konzessionsverträge zwischen Stadt und Stadtwerk zu entscheiden und entschied zugunsten der Klägerin. Die in § 47 EnWG geregelte Rügeobliegenheit und Präklusion greife nicht. Es fehle an der nach der Übergangsvorschrift des § 118 Abs. 23 EnWG geforderten Rügeaufforderung durch die Stadt. Die zwischen Stadt und Stadtwerken abgeschlossenen Wegenutzungsverträge seien nichtig. Aus dem in § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB und § 46 Abs. 1 EnWG enthaltenen Diskriminierungsverbot folge das Gebot der organisatorischen und personellen Trennung von Vergabestelle und Bewerber. Nur so könne eine Gemeinde die gebotene Neutralität bei der Vergabeentscheidung wahren, wenn eine gleichzeitige Stellung als Vergabestelle und Bewerber bestehe. Eine personelle und organisatorische Trennung müsse erfolgen, wenn sich ein kommunaler Eigenbetrieb oder – wie hier – eine kommunale Eigengesellschaft am Wettbewerb um das Wegenetz beteilige. Dies erfordere eine Organisationsstruktur, die einen Informationsaustausch lediglich innerhalb des Vergabeverfahrens sicherstelle und den „bösen Schein“ mangelnder Objektivität vermeide.
Eine Trennung habe schon auf Leitungsebene nicht vorgelegen. Denn der Kämmerer war zugleich Geschäftsführer der Stadtwerke. Zudem war dem Kämmerer vor- bzw. nachstehendes Personal mit Aufgaben der Vergabestelle betraut. Eine konkrete Doppelbefassung müsse nicht nachgewiesen werden. Bereits das äußere Erscheinungsbild der Gefahr eines Wissenstransfers begründe einen Verstoß. Dass der Kämmerer an den Auswahlentscheidungen der Stadtvertretung nicht beteiligt war, habe daher nicht ausgereicht. Der Verstoß gegen das Trennungsgebot führe auch zu einer unbilligen Behinderung der Mitbewerber. Auswirkungen auf das Vergabeverfahren und die Rangfolge der Bieter könnten nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden können.
Praxistipp
Anders als das europäische Vergaberecht (vgl. dort § 108 GWB) kennt das Energiewirtschaftsrecht für die Vergabe von Wegenutzungsrechten/Konzessionen kein Inhouse-Privileg für kommunale Eigenbetriebe/-gesellschaften. Gemeinden können daher Wegenutzungsrechte nicht ohne Wettbewerb an „ihre“ Stadtwerke vergeben. Insoweit ist das speziellere Wettbewerbsregime des § 46 EnWG strenger als das europäische Vergaberecht.
Vorschriften zur Vermeidung von Interessenkonflikten sind im europäischen Vergaberecht schon seit Längerem verankert (§ 6 VgV, § 5 KonzVgV). Bei bestimmten Personengruppen wird ein Interessenkonflikt vermutet. Diese Vermutung ist jedoch widerleglich. Auch insoweit ist das Regime des § 46 EnWG als strenger einzustufen, wenn der BGH den „bösen Schein“ eines Interessenkonflikts ausreichen lässt und den zweifelsfreien Ausschluss negativer Auswirkungen fordert.
Das Trennungsgebot stellt gerade kleinere Kommunen vor Herausforderungen. Personelle Verflechtungen mit Eigengesellschaften sind an der Tagesordnung. Um das Konzessionsvergabeverfahren nicht angreifbar zu machen, müssen gleichwohl Vorkehrungen getroffen und insoweit „chinese walls“ zwischen den Gemeinden mit ihren Gremien und Eigengesellschaften errichtet werden. Allein der Ausschluss von Personal mit Doppelfunktion bei Stadt und Eigengesellschaft von den maßgeblichen Gemeinderatssitzungen reicht hierfür nicht aus. Die für die Trennung unternommenen Schritte sind zudem sorgfältig zu dokumentieren.
Maßgebliche Entscheidung: BGH, Urt. v. 12.10.2021 – EnZR 43/20