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OSS-Vergaben: Fallstricke bei Leistungsbeschreibung und Wahl einer wettbewerbsbeschränkenden Verfahrensart

Öffentliche Hand
OSS-Vergaben: Fallstricke bei Leistungsbeschreibung und Wahl einer wettbewerbsbeschränkenden Verfahrensart

Das Thema Open Source Software (OSS) gewinnt bei öffentlichen Ausschreibungen zunehmend an Bedeutung. Öffentliche Auftraggeber wollen häufig aufgrund politischer Zielvorgaben finanziell und organisatorisch unabhängiger von (großen) Anbietern proprietärer Software werden. Bei Bestandsnutzung einer bestimmten OSS darf die Leistungsbeschreibung nicht ohne Weiteres so formuliert werden, dass Pflege- und Wartungsleistungen auf die Produktpalette des Bestandsanbieters abzielen. Auch sind Fallstricke bei der Wahl einer wettbewerbsbeschränkenden Verfahrensart zu beachten.

Sachverhalt

Der Auftraggeber hatte mit freiwilliger Ex-ante Transparenzbekanntmachung die Auftragsvergabe zur Beschaffung von Dienstleistungen zur Pflege und Weiterentwicklung einer Standard-OSS angekündigt. Der Auftrag wurde an den Anbieter besagter OSS (Bestandsanbieter) in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben. Der Auftraggeber rechtfertigte dies im Wesentlichen damit, dass er zuvor bereits den Cloud-Service des Bestandsanbieters genutzt hatte. Dieser sollte qualitativ und quantitativ ausgebaut werden. Für den Ausbau sei wegen der Lizenzkostenfreiheit nur OSS in Frage gekommen. Zudem sei nur der Service des Bestandsanbieters selbst in Betracht gekommen. Bei anderweitiger Beauftragung entstünden kostenaufwendige Schnittstellen, Sicherheitsrisiken, erhöhter Administrations- sowie Schulungs- und Betreuungsaufwand. Subskription und Consulting des Bestandsanbieters erfolgten nach dessen Zusicherung im Alleinvertrieb.

Ein konkurrierender OSS-Anbieter (Antragsteller) rügte die Beauftragung. Es seien keine nachvollziehbaren und auftragsbezogenen Gründe ersichtlich für die ausschließliche Verwendung von Produkten des Bestandsanbieters. Da es sich um OSS handele, könne nicht nur der Bestandsanbieter, sondern auch jeder Dritte die Dienst- und Pflegeleistungen erbringen. Somit fehle es nicht an Wettbewerb und die Verfahrensart habe nicht gewählt werden dürfen. Nachdem der Auftraggeber der Rüge nicht abhalf, stellte der Antragsteller einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Baden-Württemberg.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Nach Auffassung der Vergabekammer hat der Auftraggeber sein Leistungsbestimmungsrecht nicht ordnungsgemäß ausgeübt und eine unzulässige Verfahrensform gewählt. Auch die Dokumentation war insgesamt unzureichend.

Zwar obliegt dem Auftraggeber die Festlegung des Beschaffungsbedarfs. Dieser kann auf eine bestimmte technische Konzeption ausgerichtet werden. Die Entscheidung muss aber sach- und auftragsbezogen und frei von sachfremden, willkürlichen oder diskriminierenden Erwägungen sein. Für die Vergabekammer war mangels Dokumentation schon nicht ersichtlich, welche Ermittlungen und Erwägungen der Auftraggeber zur Festlegung des Leistungsgegenstands angestellt hat. Die rein von der Produktpalette des Bestandsanbieters her gedachte Argumentation war unzureichend. Die ausschlaggebenden Merkmale für eine produktspezifische Entscheidung sind konkret zu dokumentieren.

Auch das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durfte der Auftraggeber nicht wählen. Eine ausnahmsweise zulässige Folgebeauftragung darf nicht wie in diesem Fall ein Vielfaches des ursprünglichen Leistungsvolumens ausmachen. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob die Ermittlung des (gesamten) Bedarfs nicht schon vor Erstbeauftragung erfolgen muss. Mangels Dokumentation der ausschlaggebenden Merkmale für die produktspezifische Entscheidung war die Verfahrenswahl auch nicht wegen fehlenden Wettbewerbs zulässig. Die Dokumentationsmängel konnten nicht geheilt werden. Die Vergabekammer stellt klar, dass die Gründe für die Wahl der Verfahrensart zum unheilbaren Mindestinhalt zählen.

Praxistipp

Die Entscheidung zeigt anschaulich, dass das Instrument der Ex-ante Transparenzbekanntmachung nicht leichtfertig eingesetzt werden sollte. Im Zweifel verhindert diese nicht eine umfangreiche Überprüfung durch die Vergabeinstanzen. Die Entscheidung zeigt zudem, dass öffentliche Auftraggeber gar nicht oft genug zu einer gründlichen Verfahrensdokumentation ermutigt werden können.

Die Leistungsbestimmung sollte grundsätzlich nicht von der Produktpalette eines bestimmten Anbieters her vorgenommen werden. Auch sollten sich öffentliche Auftraggeber nicht auf Zusicherungen eines Bestandsanbieters verlassen. Solche Zusicherungen ersetzen keine Marktanalyse. Dies gilt gerade bei OSS-Vergaben. Wegen des grundsätzlich frei verfügbaren Quellcodes sind Pflege- und Weiterentwicklungsleistungen Dritter nicht ausgeschlossen.

Die reine Nutzung von OSS unterfällt mangels Entgeltlichkeit zwar nicht dem Vergaberecht. Etwas anderes gilt jedoch für im Nachgang benötigte Pflege- und Serviceleistungen. Auf letztere sollten öffentliche Auftraggeber bei zunächst unentgeltlicher Nutzung einer OSS den Blick nicht grundsätzlich verschließen. Dies gilt jedenfalls bei unmittelbarem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang (Stichwort: funktionaler Auftragsbegriff).

Maßgebliche Entscheidung: VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 09.08.2021 – 1 VK 39/21

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