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Klimaklagen auf dem Vormarsch

Fachbeiträge
Klimaklagen auf dem Vormarsch

Der globale Trend zu klimaschutzmotivierten Gerichtsverfahren, sogenannte Climate Change Litigation, nimmt auch in Deutschland an Fahrt auf. Nach dem wegweisenden Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts werden derzeit vor deutschen Zivilgerichten mehrere medienwirksame Klimaklagen gegen private Unternehmen verhandelt. Präzedenzfälle könnten eine Lawine an Folgeprozessen auslösen. Unternehmen sollten diese Entwicklung sorgfältig beobachten und durch eine gezielte Klima-Compliance vorsorgen.

Klimaschutzprozesse im Überblick

Die Staatengemeinschaft hat sich im Pariser Abkommen auf eine Begrenzung der Erderwärmung auf möglichst 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau verständigt. Dabei gelten die Berichte des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) als maßgebliche Stimme der weltweiten Klimaforschung. Sie bieten Anhaltspunkte für ein ganz konkret errechenbares „CO2-Restbudget“. Unternehmen sind an völkerrechtliche Abkommen und wissenschaftliche Erkenntnisse nicht direkt gebunden. Jedoch loten Gerichte derzeit aus, welche verbindlichen Handlungsanforderungen aus den vereinbarten Klimaschutzzielen auch für Unternehmen folgen. NGOs treiben diese Entwicklung durch Musterverfahren energisch voran. Weltweit sind hunderte Klagen anhängig, die die Einhaltung von Klimaschutzzielen verfolgen, Schadensersatz aufgrund von Umweltschädigungen verlangen oder eine Unterlassung künftiger Schädigungen des Klimas fordern. Einen guten Überblick zum aktuellen Stand der Klimaklagen gibt die Datenbank der Columbia Law School, Sabin Centre for Climate Change Law (http://climatecasechart.com/climate-change-litigation/).

Folgende Verfahren sollten deutsche Unternehmen kennen:

  • Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Im letzten Jahr hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Klima-Beschluss den Grundstein für ein subjektives Recht auf Klimaschutz gelegt (Beschl. v. 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20). Die Richter begründeten die Korrekturbedürftigkeit des deutschen Klimaschutzgesetzes mit einem Grundrecht auf Schutz vor den Gefahren des Klimawandels. Freiheitssicherung verlange auch den Schutz künftiger Generationen, insbesondere durch eine gerechte Verteilung des CO2-Restbudgets. Ein solches Grundrecht wird mittelbar auch in Unternehmensklagen eine Rolle spielen.
  • Rechtssache Shell Internationales Aufsehen erregte die Entscheidung des niederländischen Bezirksgerichts Den Haag in der Rechtssache Shell (Urt. v. 26. Mai 2021 – C/09/571932/HA ZA 19-379). Unter Berufung auf den „globalen Standard“ des Pariser Abkommens, der IPCC-Berichte und der UN Guiding Principles muss der Mineralöl- und Erdgaskonzern Shell seine weltweiten Treibhausgasemissionen in der Produktions- und Lieferkette um mindestens 45 % reduzieren. Shell hat Rechtsmittel eingelegt. Das niederländische Konzept ungeschriebener Sorgfaltspflichten lässt sich zwar nicht ohne weiteres auf deutsches Recht übertragen, jedoch geht von der Entscheidung grenzüberschreitend eine ganz erhebliche Signalwirkung für künftige Unternehmensklagen aus.
  • Anhängige Klimaklagen gegen deutsche Unternehmen Von den bisherigen Prozesserfolgen beflügelt, richten sich Klimaklagen, unterstützt von NGOs, verstärkt gegen private Unternehmen. In einem seit Jahren betriebenen Musterprozess zeigt sich das Oberlandesgericht Hamm gewillt, den genauen Ursachenzusammenhang zwischen Emissionen des Kraftwerksbetreiber RWE und einem Gletscherabschmelzen in den Anden zu prüfen. Ein Ortstermin ist geplant, sobald es die Pandemie erlaubt. Auf dieser Grundlage will das Gericht über Entschädigungsansprüche eines peruanischen Bauern entscheiden (Beschl. v. 30. November 2017 – I-5 U 15/17).Im Herbst 2021 reichte die DUH vor den Landgerichten Kassel, Stuttgart und München auf § 1004 BGB gestützte Klimaklagen gegen die Unternehmen Wintershall Dea, Mercedes-Benz und BMW ein. Am Maßstab der Pariser Klimaziele fordern die Klageparteien von den beklagten Unternehmen die Unterlassung von Umweltschädigungen. Konkret fordern sie den Verzicht auf Erschließung weiterer Erdgas- und Erdölfelder sowie den weltweiten Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2030. Greenpeace und Fridays for Future ziehen mit ähnlicher Intention gegen VW vor Gericht. Die Erfolgsaussichten solcher Klimaklagen sind offen.

Risiken und Handlungsempfehlungen für Unternehmen

Wie groß das Risiko von Klimaklagen für ein Unternehmen ist, hängt von der Geschäftstätigkeit des Unternehmens und vom Fortgang der derzeit vor deutschen Zivilgerichten anhängigen Klagen ab. Am wirksamsten können Unternehmen den drohenden Haftungs- und Reputationsrisiken durch eine gezielte Umwelt- und Klimapolitik entgegenwirken. Eine solche Klima-Compliance verlangt eine Analyse, in welchem Ausmaß das Unternehmen Umweltschäden direkt oder indirekt verursacht und welche Regelungen zu beachten sind.

  • Unmittelbare Verursachung von Schäden: Hat ein Unternehmen eigene Produktionsstätten oder Werke, durch die beispielsweise im Umgang mit Schadstoffen umweltschädigend gehandelt wird, ergibt sich daraus eine unmittelbare Haftung des Unternehmens. Die Verursacherkette zwischen Schaden und schädigender Handlung wird in derartigen Fällen leicht nachvollziehbar sein. Klagen sind am Sitz des Unternehmens möglich. Regelmäßig kommt das Recht des Ortes zur Anwendung, an dem die schädigende Handlung begangen wird.
  • Klimaschädigung durch Zulieferer oder Dienstleister: Durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) müssen deutsche Unternehmen ab 2023 abhängig von ihrer Mitarbeiteranzahl kontrollieren, ob in ihrer Lieferkette unter anderem umweltbezogene Sorgfaltspflichten verletzt werden. Das deutsche LkSG sieht zwar keine eigenständige zivilrechtliche Haftung vor, erlaubt aber die Prozessstandschaft durch Gewerkschaften und NGOs und erleichtert somit den Weg zur Erhebung entsprechender Klagen enorm. Der jüngst vorgelegte Richtlinien-Entwurf der Europäischen Kommission für ein EU-Lieferkettengesetz geht über das geltende nationale Recht noch deutlich hinaus. Unternehmen sollen danach verpflichtet werden, einen Klimaschutzplan zu erstellen, der mit dem 1,5 °C-Ziel übereinstimmt. Auch eine eigenständige zivilrechtliche Haftungsregelung ist vorgesehen.
  • Abstrakte Klimaschädigungen: Klagen auf die Unterlassung von Treibhausgasemissionen kann am effektivsten durch eine freiwillige Einhaltung der Pariser Klimaziele vorgebeugt werden. Die Anforderungen könnten durch den European Green Deal weiter konkretisiert werden. Unternehmen sollten als haftungsrechtliche Vorsorge ausreichende Maßnahmen zur Verhinderung von Klimaschäden treffen. Abhängig von Branche, Unternehmensgröße, Art und Umfang der Geschäftstätigkeit und weiteren Faktoren, sollten Unternehmen eigene Klimaziele definieren, deren Umsetzung regeln und dokumentieren. Durch die Entwicklung in Gesetzgebung und Rechtsprechung werden sich die erforderlichen Maßnahmen stetig weiterentwickeln müssen.

Fazit

Selbst bei Abweisung der anhängigen Klimaklagen könnten Gerichte wichtige klimabezogene Sorgfaltspflichten formulieren, an denen Unternehmen ihr Handeln künftig messen lassen müssen. Die erwarteten Gerichtsentscheidungen könnten den Weg für weitreichende Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche ebnen. Zusätzlich wird eine verantwortungsvolle Unternehmensführung in allen ESG Bereichen für Unternehmen auch aus Gründen der Reputation immer relevanter. Klimaziele als fester Bestandteil der Unternehmensidentität und Compliance im Unternehmen zu implementieren, diese auch tatsächlich umzusetzen und die Umsetzung zu dokumentieren, das dürfte in absehbarer Zeit in den Fokus guter Unternehmensführung rücken.

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