Ob Sie lieber eine E-Mail senden, zum Telefon greifen oder das gute alte Fax nutzen. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.
Kaskadenverweise in Musterwiderrufsbelehrungen von Verbraucherkreditverträgen
Die aktuelle Entscheidung des EuGH und ihre rechtlichen Folgen für Banken
Der EuGH hat in einer Entscheidung vom 26. März 2020 festgestellt, dass eine Widerrufsbelehrung, die die gegenüber dem Verbraucher notwendigen Informationen nicht im Vertrag selbst angibt, sondern hierzu auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften weiterverweist, mit dem europarechtlichen Ziel des Verbraucherschutzes nicht vereinbar ist. Der Bundesgerichtshof hat sich wenig später in einem Nichtzulassungsbeschwerdebeschluss zu dieser Rechtsfrage im Ergebnis konträr geäußert. Daher stellt sich die Frage, welche Bedeutung der EuGH-Entscheidung für deutsche Kreditinstitute, die die Muster-Widerrufsbelehrung verwendet haben, zukommt.
Der Sachverhalt der EuGH-Entscheidung
Der Entscheidung des EuGH liegt die im Jahr 2016 erfolgte Ausübung eines Widerrufs eines Verbrauchers betreffend einen im Jahr 2012 geschlossenen, grundpfandrechtlich besicherten Immobilienkreditvertrag zu Grunde, der folgende Widerrufsinformation enthielt:
„Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. […]“
Diese Widerrufsinformation entsprach dem gesetzlichen Muster, für das das deutsche Recht in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB zugunsten des Verwenders den Schutz der sog. „Gesetzlichkeitsfiktion“ anordnet. Der Darlehensnehmer berief sich gleichwohl darauf, der Lauf der Widerrufsfrist habe mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung nicht begonnen.
Das Landgericht zweifelte an der Vereinbarkeit der Widerrufsbelehrung mit europäischem Verbraucherschutzrecht, weil die Widerrufsbelehrung einen sogenannten „Kaskadenverweis“ enthält, indem sie nur eine Norm des BGB zitiert, die in das EGBGB weiterverweist, welches seinerseits auf andere Vorschriften des BGB zurückverweist. Das Landgericht legte dem EuGH daher die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob der europarechtliche Verbraucherschutz einer solchen Widerrufsinformation entgegensteht.
Die Entscheidung des EuGH
Der EuGH hat zunächst seine Zuständigkeit zur Vorabentscheidung entgegen der Rüge der deutschen Bundesregierung bejaht: Obwohl die Richtlinie 2008/48 („Verbraucherkreditrichtlinie“) nicht für grundpfandrechtlich gesicherte Darlehensverträge gilt, habe der deutsche Gesetzgeber nach der Vorlageentscheidung offenbar den Willen gehabt, die Regelungen der Richtlinie auf solche Verträge zu erstrecken. Obwohl der EuGH klarstellt, dass ihm keine Kompetenz zur Auslegung nationaler Rechtsvorschriften zukommt, sei die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage im Übrigen zu vermuten.
In der Sache hat der EuGH entschieden, dass ein Kaskadenverweis den Anforderungen der europäischen Verbraucherschutzrichtlinie an eine „klare und prägnante“ Angabe der „Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist“ nicht genügt. Zur Begründung führt er aus, dass der Verbraucher allein auf Grundlage des Vertrags seine vertraglichen Verpflichtungen weder bestimmen, noch überprüfen könne, ob der Vertrag alle erforderlichen Angaben im Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. p der Richtlinie 2008/48 EG enthält – und erst recht nicht, ob die Widerrufsrist für ihn zu laufen begonnen hat.
Die Rechtsansicht des BGH
Der BGH hat – in Kenntnis der soeben beschriebenen Entscheidung des EuGH – am 31. März 2020 (XI ZR 198/19) in einem Beschluss über eine Nichtzulassungsbeschwerde betreffend eine Streitigkeit über die Wirksamkeit des Widerrufs einer auf Abschluss einer Kfz-Finanzierung gerichteten Erklärung eines Verbrauchers entschieden, dass die in dem Vertrag enthaltene – wortlautidentische – Widerrufsinformation zum Anlauf der Widerrufsfrist führt. Dies deckt sich mit einer früheren Entscheidung des BGH vom 22. November 2016, in der er einen sog. Kaskadenverweis bereits für wirksam erklärt hatte.
Nach dem BGH kann sich der Verwender der Muster-Widerrufsinformation auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen, ohne dass dem die Entscheidung des EuGH entgegenstünde; er begründet dies mit dem eindeutigen Wortlaut des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB und dem klaren gesetzgeberischen Willen: Nach dieser Vorschrift ist eine Widerrufsinformation als gesetzeskonform anzusehen, wenn die gesetzlichen Muster verwendet werden. Der Gesetzgeber bezweckte mit der Schaffung dieser Norm und der Widerrufsmuster, dass durch die Anwendung der Widerrufsmuster für die Anwender Rechtsklarheit und Rechtssicherheit entsteht. Nach der eindeutigen gesetzgeberischen Intention genügen die Muster in Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB den Anforderungen an eine klare und verständliche Information des Darlehensnehmers. Entgegen der Ansicht des an den EuGH vorlegenden Landgerichts habe der deutsche Gesetzgeber die Verbraucherkreditrichtlinie nicht für Immobiliendarlehen als maßgeblich erachtet.
Das in Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich verankerte Rechtsstaatsprinzip und die in Art. 97 Abs. 1 GG verankerte Bindung der Gerichte an das Gesetz verbieten es einem Gericht, den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers zu missachten: Denn der Grundsatz der Gewaltenteilung verbietet es Gerichten, ihre eigenen materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen. Auch eine richtlinienkonforme Auslegung oder richterliche Rechtsfortbildung entgegen dem klaren und erkennbaren Willen des Gesetzgebers komme nicht in Betracht; dies ergebe sich sowohl aus den in Deutschland anerkannten rechtsmethodischen Grundsätzen als auch aus der Rechtsprechung des EuGH.
FAZIT
Von dieser Entscheidung sind Immobilienkreditverträge betroffen, die im Zeitraum zwischen Juni 2010 und März 2016 geschlossen wurden sowie Kfz-Finanzierungen, die seit Juni 2010 geschlossen wurden und in denen die Muster-Widerrufsbelehrung enthalten ist.
Der BGH hat in die im EuGH-Urteil offengelassene Kerbe geschlagen, dass der EuGH nicht zur Auslegung nationaler Rechtsvorschriften berechtigt ist. Da der BGH somit als höchstes deutsches Zivilgericht entschieden hat, dass die Muster-Widerrufsbelehrung nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers die Gesetzlichkeitsfiktion entfalten soll, dürfte das EuGH-Urteil für die beschriebenen Fälle keine praktischen Auswirkungen haben: Entsprechende neue Klagen würden vom BGH sicherlich mit entsprechender Begründung abgewiesen werden. Nach dem EuGH-Urteil haben sich auch das OLG Köln (Beschl. v. 06.04.2020 – 12 U 52/19) und das OLG Frankfurt a.M. (Beschl. v. 28.04.2020 – 10 U 161/19) bei Immobiliar-Darlehensverträgen dem BGH angeschlossen.
Auch eine Anpassung von mit den Muster-Widerrufsinformationen korrespondierenden Widerrufsbelehrungen ist nach der Rechtsprechung des BGH wohl nicht geboten, solange der Gesetzgeber die Muster-Widerrufsinformation nicht ändert. Denn Widerrufsbelehrungen, die exakt dem gesetzlichen Muster entsprechen, gelten als rechtskonform.