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EuGH verpflichtet zur Angabe einer verbindlichen Abrufobergrenze bei Rahmenvereinbarungen!
Rahmenvereinbarungen bieten sich immer dann an, wenn Auftraggeber bestimmte Leistungen immer wieder benötigen, sie aber Zeitpunkt und Umfang zunächst noch nicht abschließend festlegen können. In der Praxis betrifft das oft handelsübliche Gebrauchsartikel oder Massenwaren, aber auch ständig wiederkehrende Dienstleistungen. Mengenschwankungen sind hier üblich. Der Beschaffungsprozess ist dabei zweistufig: auf einer ersten Stufe schreibt der Auftraggeber den Abschluss einer Rahmenvereinbarung aus, welche die Bedingungen zukünftiger Einzelaufträge regelt. Auf einer zweiten Stufe werden diese Einzelaufträge dann im Bedarfsfall zu den vereinbarten Konditionen beauftragt.
Seit einer Entscheidung des EuGH im Juni 2020 herrschte in der Vergaberechtspraxis allerdings große Unsicherheit darüber, ob Auftraggeber auch nach der derzeit geltenden EU-Vergaberichtlinie stets dazu verpflichtet sind, im Vergabeverfahren für eine Rahmenvereinbarung eine Höchstmenge bzw. einen Höchstwert verbindlich anzugeben und so den möglichen Umfang zukünftiger Einzelabrufe zu begrenzen. Nun hat der EuGH in einer weiteren Entscheidung klargestellt, dass Auftraggeber bei europaweiter Vergabe einer Rahmenvereinbarung sowohl die Schätzmenge und/oder den Schätzwert zukünftiger Abrufe, als auch deren Höchstmenge und/oder Höchstwert bekanntmachen müssen.
Im entschiedenen Fall hatte ein dänischer Auftraggeber bei einer Rahmenvereinbarung über die Ausrüstung für künstliche Ernährung in der Auftragsbekanntmachung keinen dieser Werte angegeben, sondern nur in einer Anlage zur Auftragsbekanntmachung Schätzungen und erwartete Verbrauchsmengen mitgeteilt. Zugleich hatte er dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der tatsächliche Verbrauch auch höher oder niedriger ausfallen könne. Diese Angaben waren aus Sicht des EuGH unzureichend. Er begründete dies insbesondere mit dem allgemeinen vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz, der „allgemeinen Systematik“ der EU-Vergaberichtlinie sowie dem Missbrauchsverbot.
Bei vollständig elektronischer Bereitstellung der Vergabeunterlagen muss die verbindliche Obergrenze allerdings nicht zwingend in der Auftragsbekanntmachung selbst enthalten sein. Auch soll die Rahmenvereinbarung bei Erreichen des Maximalwerts zwar ihre Wirkung verlieren. Andererseits betont der EuGH, dass in den Grenzen des auch sonst vergaberechtlich Zulässigen weiterhin Raum für unwesentliche Änderungen bleibt, die im Einvernehmen mit dem Rahmenvereinbarungspartner erfolgen – und damit auch für unwesentliche Mengenüberschreitungen. Überdies stellt das Gericht klar, dass eine Rahmenvereinbarung nach einem erfolgreich abgeschlossenen Vergabeverfahren nicht allein wegen dieser fehlenden Angaben noch als „de facto“- Vergabe angreifbar ist.
Praxistipp
Unbeschadet aller dogmatisch möglichen Kritik an dieser Entscheidung sollten Auftraggeber bei EU-weiter Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung zukünftig unbedingt sowohl die Schätzmenge bzw. den Schätzwert als auch eine/n verbindliche/n Höchstmenge/-wert in der Auftragsbekanntmachung angeben. Während offenkundig maßlos überdimensionierte Maximalwerte („Phantasiezahlen“) ebenso wie gänzlich fehlende Werte vergaberechtswidrig sein dürften, müssten zumindest nachvollziehbar begründbare „Sicherheitszuschläge“ auf einen geschätzten Wert zulässig sein. Darüber hinaus empfiehlt sich in Bezug auf die Obergrenze auch eine klare vertragliche Regelung.
Maßgebliche Entscheidung: EuGH, Urt. v. 17. Juni 2021, Rs. C- 23/20, „Simonsen & Weel“