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Erleichterungen für Hauptversammlungen durch das „COVID-19-Gesetz“
Mehr zeitliche Flexibilität und die Möglichkeit virtueller Hauptversammlungen sollen die Folgen der COVID-19-Pandemie für Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Europäische Gesellschaften (SE) abmildern.
Für AGs, KGaAs und Europäische Gesellschaften (SE) ist es derzeit aufgrund der COVID-19-Pandemie und der Einschränkungen für die Versammlung von Personen kaum absehbar, wann sie ihre ordentlichen Hauptversammlungen abhalten und erforderliche Beschlüsse fassen können. Viele der jährlichen Aktionärstreffen können nicht an den geplanten Terminen stattfinden oder mussten nach bereits erfolgter Einberufung verschoben werden. Hierdurch verzögert sich häufig insbesondere die Ausschüttung von Dividenden.
Der Gesetzgeber hat daher im Rekordtempo ein Gesetz über Maßnahmen im Gesellschaftsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie („COVID-19-Gesetz“) geschaffen, das am 28. März 2020 in Kraft getreten ist. Das COVID-19-Gesetz soll die Durchführung von Hauptversammlungen substanziell erleichtern und ändert die aktienrechtlichen Regelungen zur Hauptversammlung für das Jahr 2020 teils fundamental.
Dem Vorstand soll hierdurch zum einen zeitlicher Spielraum verschafft werden, um die Verzögerungen möglichst ausgleichen zu können. So kann er die Hauptversammlung auf einen späteren Zeitpunkt im Jahr 2020 verschieben, vorab einen Abschlag auf den Bilanzgewinn auszahlen oder die Hauptversammlung mit verkürzter Frist einberufen. Zum anderen lässt das COVID-19-Gesetz die Online-Teilnahme der Aktionäre auch ohne Satzungsermächtigung zu. Zudem sieht es die Möglichkeit präsenzloser Hauptversammlungen ohne Anwesenheit von Aktionären vor, bei denen die Befugnisse zur Anfechtung von Beschlüssen eingeschränkt sind. Soweit der Vorstand von diesen Optionen Gebrauch macht, bedarf er hierfür der Zustimmung des Aufsichtsrats.
Die wichtigsten Regelungen des COVID-19-Gesetzes im Überblick:
1. Verlängerung der Frist für ordentliche Hauptversammlungen
Die im Jahr 2020 anstehende ordentliche Hauptversammlung muss nicht in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres stattfinden. Es reicht, wenn sie im Jahr 2020 im Laufe des Geschäftsjahres durchgeführt wird. Die Gesellschaften erhalten hierdurch mehr zeitliche Flexibilität.
2. Abschlagszahlung auf den Bilanzgewinn
Da die Verschiebung der Hauptversammlung eine verzögerte Beschlussfassung über die Gewinnverwendung und damit der Dividendenausschüttung zur Folge hat, kann der Vorstand nun auch ohne entsprechende Satzungsermächtigung einen Abschlag auf den Bilanzgewinn zahlen. Voraussetzungen und Umfang einer Abschlagszahlung richten sich nach den bestehenden aktiengesetzlichen Regelungen (§ 59 Abs. 2 AktG).
3. Verkürzte Fristen im Vorfeld der Hauptversammlung
Der Vorstand kann die Hauptversammlung zudem schneller einberufen, indem maßgebliche Fristen verkürzt werden:
- Einberufungsfrist: Die Einberufungsfrist („Mindestfrist“) kann von 30 Tagen auf 21 Tage reduziert werden. Zudem entfällt die Vorgabe, zu dieser Mindestfrist die bei Publikumsgesellschaften in der Satzung vorgesehene Anmeldefrist hinzuzurechnen. Damit ist es im Jahr 2020 möglich, Hauptversammlungen innerhalb von weniger als vier Wochen nach Versand der Einberufung an den Bundesanzeiger abzuhalten.
- Record Date: Wird die Hauptversammlung mit der verkürzten Frist von 21 Tagen einberufen, hat sich der Nachweis des Anteilsbesitzes auf den Beginn des zwölften (statt 21.) Tages vor der Hauptversammlung zu beziehen. Der Nachweis muss der AG dann spätestens am vierten (statt sechsten) Tag vor der Hauptversammlung zugehen; der Vorstand kann aber auch einen noch späteren Tag vorsehen. Die anderslautenden Satzungsregelungen gelten insoweit nicht. Im COVID-19-Gesetz ist hingegen nicht ausdrücklich geregelt, ob das Entsprechende auch für die Anmeldung zur Hauptversammlung gilt. Eine mögliche Verlängerung der Anmeldefrist ist aber ohnehin nach den Satzungen vieler Gesellschaften möglich.
- Mitteilungsfrist: Die Frist für die Mitteilungen nach § 125 AktG verkürzt sich von 21 Tagen auf spätestens zwölf Tage vor der Hauptversammlung. Dieser Zeitraum wird vom Gesetzgeber als ausreichend angesehen, damit Intermediäre für die Aktionäre die Mitteilungen aufbereiten und eine Stimmrechtsausübung für die Aktionäre ermöglichen.
- Ergänzungsverlangen: Verlangen von Aktionären auf Ergänzung der Tagesordnung müssen der Gesellschaft spätestens 14 (statt 24 bzw. 30) Tage vor der Hauptversammlung zugehen.
Die Verkürzung der Fristen erscheint als hilfreich, um die Versammlung insbesondere nach einer Verschiebung des HV-Termins früher abhalten und bei etwaigen Lockerungen der Kontaktverbote rasch reagieren zu können. Die beschleunigte Einberufung kann ferner auch bei dringend benötigten Kapitalmaßnahmen oder Umstrukturierungen, etwa auch im Rahmen von außerordentlichen Hauptversammlungen, Bedeutung erlangen.
4. Online-Teilnahme an Präsenz-Hauptversammlung und sog. Briefwahl
Das COVID-19-Gesetz ermächtigt den Vorstand, im Jahr 2020 auch ohne eine entsprechende Satzungsregelung nach § 118 AktG vorzusehen, dass Aktionäre und Aufsichtsratsmitglieder auch im Wege der elektronischen Kommunikation an der Hauptversammlung teilnehmen können (Online-Teilnahme). Diese können dann zu einer Präsenz-Hauptversammlung elektronisch zugeschaltet werden und ihre Stimmrechte und anderen versammlungsbezogenen Rechte durch eine interaktive Zwei-Wege-Direktverbindung in Echtzeit ausüben. Betroffen sind das Rederecht, das Auskunftsrecht, das Beschlussantragsrecht, das Recht zur Einsichtnahme in das Teilnehmerverzeichnis sowie das Widerspruchsrecht, soweit diese nicht ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Sobald die weitreichenden Versammlungsverbote und Kontaktbeschränkungen gelockert werden, kann die Eröffnung der Online-Teilnahme einen Weg darstellen, um die Hauptversammlungspräsenz abwesender Aktionäre zu erhöhen. Indessen sind die erheblichen technischen Anforderungen und die damit verbundenen Kosten sowie das Risiko von technischen Störungen zu berücksichtigen, die der Gesellschaft angelastet werden könnten. Nicht abschließend geklärt ist bisher auch, ob das Recht von Online-Teilnehmern zur Erhebung von Anfechtungsklagen begrenzt werden kann. Das COVID-19-Gesetz schränkt die Anfechtungsmöglichkeiten hier nicht weiter ein.
Eine weitere Option bietet die elektronische Stimmabgabe vor oder in der Hauptversammlung bei Beschlussfassungen und Wahlen (sog. Briefwahl), die der Vorstand nun den Aktionären auf der Grundlage des COVID-19-Gesetzes ebenfalls ohne eine sonst erforderliche Satzungsermächtigung einräumen kann. Er darf die Briefwahl zudem mit einer Bild- und Tonübertragung der Hauptversammlung kombinieren. Die so an der Abstimmung teilnehmenden Aktionäre gelten nicht als Teilnehmer, so dass sie nicht anfechtungsbefugt sind. Eine ähnliche Wirkung kann aber auch bereits durch die Erteilung von Weisungen an den von der Gesellschafter benannten Stimmrechtsvertreter erzielt werden.
5. Virtuelle Hauptversammlung
Da die Versammlungsmöglichkeiten von Personen unter Umständen für längere Zeit beschränkt sind, hat die sog. „virtuelle Hauptversammlung“ ganz ohne Anwesenheit von Aktionären sowie Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern eine wesentlich größere Bedeutung. Mit dem COVID-19-Gesetz betritt der Gesetzgeber hier Neuland und schränkt wesentliche Aktionärsrechte geradezu handstreichartig ein.
Der Vorstand kann entscheiden, dass die Versammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle Hauptversammlung abgehalten wird. Dies ist jedoch nur möglich, sofern die folgenden vier Voraussetzungen gewahrt sind:
- Übertragung: Die gesamte Hauptversammlung muss in Bild und Ton übertragen werden. Dass die Übertragung technisch ungestört abläuft und bei jedem teilnahmeberechtigten Aktionär ankommt, ist ausweislich der Gesetzesbegründung nicht Voraussetzung.
- Stimmrechtsausübung: Die Stimmrechtsausübung der Aktionäre muss im Wege der elektronischen Kommunikation, d. h. durch sog. Briefwahl oder elektronische Teilnahme, sowie (also zusätzlich) durch Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht möglich sein. Die Möglichkeiten der Briefwahl und der elektronischen Teilnahme stehen auch den Gesellschaften offen, die von der dazu erforderlichen Satzungsermächtigung bisher keinen Gebrauch gemacht haben.
- Fragerecht: Den Aktionären muss eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt werden. Das Verfahren liegt im Ermessen des Vorstands. Die übermittelten Fragen soll der Vorstand nur nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen zu beantworten haben. Dabei kann der Vorstand auch vorgeben, dass Aktionärsfragen bis spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung im Wege der elektronischen Kommunikation (z.B. per E-Mail) einzureichen sind.
- Online-Widerspruch: Den teilnehmenden Aktionären, die ihr Stimmrecht ausgeübt haben, muss die Möglichkeit gegeben werden, bis zum Ende der Hauptversammlung elektronisch Widerspruch zur Niederschrift gegen Beschlüsse der Hauptversammlung zu erklären. Hierfür sollte es genügen, eine E-Mail-Adresse der Gesellschaft einzurichten.
Der Vorstand kann die Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats durch Videozuschaltung auch ohne Satzungsermächtigung zulassen, so dass diese ebenfalls nicht anwesend sein müssen. Ganz ohne jede physische Anwesenheit kommt aber auch die virtuelle Hauptversammlung nicht aus: Wird hierüber eine notarielle Niederschrift erstellt, sollte neben dem Versammlungsleiter auch der Notar zugegen sein. Diesem kann dann auch ein elektronisch erklärter Widerspruch zur Niederschrift zugehen.
Zu Teilnahmerecht und Teilnahmepflicht der Vorstandsmitglieder schweigt das COVID-19-Gesetz. Auch das „normale“ Aktienrecht sieht keine generelle Möglichkeit zum Ausschluss oder zur Entbindung von der grundsätzlich erforderlichen Teilnahme vor. Indessen ist die Vorstandsrede mit dem Bericht über das abgelaufene Geschäftsjahr und dem Ausblick wesentlicher Teil jeder ordentlichen Hauptversammlung. Ferner ist der Vorstand für die Beantwortung von Fragen der Aktionäre zuständig. Angesichts des Gesetzeszwecks, die Anwesenheit von Personen auf das Minimum zu beschränken, kann aber kaum angenommen werden, dass sämtliche oder auch nur eines der Vorstandsmitglieder körperlich teilnehmen muss.
Da stets auch die Erteilung von Stimmrechtsvollmachten vorzusehen ist, wird es zudem der Anwesenheit des Stimmrechtsvertreters der Gesellschaft bedürfen, damit er die Stimmen weisungsgemäß ausüben kann. Seine Anwesenheit soll trotz Verbannung der Aktionäre jedenfalls zulässig sein. Vermeiden lässt sich dies wohl nur dann, wenn ihm eine Möglichkeit zur elektronischen Stimmabgabe eingeräumt wird.
Die Rechte der Aktionäre können in der virtuellen Hauptversammlung maßgeblich eingeschränkt sein: Wird die Versammlung nur mit Briefwahl und Stimmrechtsvollmachten durchgeführt, gelten die per Video zuschauenden Aktionäre und Aktionärsvertreter nicht als Teilnehmer. In der Konsequenz müssten dann auch Wortmeldungen nicht ermöglicht werden, so dass die sonst übliche Generaldebatte ausfällt. Das Rederecht wäre damit beseitigt. Sieht die Gesellschaft hiervon Ausnahmen vor, etwa für die Aktionärsvereinigungen, ist das Gebot der Gleichbehandlung zu beachten.
Ebenso können die Aktionäre nach der Vorstandsrede keine weiteren Nachfragen stellen, wenn sie ihre Fragen nur vorab per E-Mail zusenden dürfen. Gleichermaßen wird es ohne Einräumung einer Online-Teilnahme nicht möglich sein, Anträge zu stellen. Nach der Regierungsbegründung sollen „natürlich alle Antragsrechte ‚in‘ der Hauptversammlung“ wegfallen, wenn die Versammlung nur mit Briefwahl und Vollmachtsstimmrecht durchgeführt wird. Diese könne es nur bei elektronischer Teilnahme von Aktionären geben. Etwaige bekannt gemachte Anträge auf Ergänzung der Tagesordnung, Gegenanträge oder Wahlvorschläge gehen dann ins Leere. Auch sog. Anträge zur Geschäftsordnung (z.B. auf Abwahl des Versammlungsleiters, Vertagung von Tagesordnungspunkten) können den Ablauf nicht mehr stören. Dass damit auch die Einsichtnahme in das Teilnehmerverzeichnis entfällt, erscheint vor diesem Hintergrund dann kaum noch der Erwähnung wert.
Für die virtuelle Hauptversammlung wird schließlich auch das Anfechtungsrecht eingeschränkt. So begründen Verstöße gegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine virtuelle Hauptversammlung nur dann eine Anfechtungsklage, wenn der Gesellschaft Vorsatz nachzuweisen ist. Dies soll den Gesellschaften Rechtssicherheit geben, insbesondere wenn es zu technischen Störungen kommen sollte.
6. Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) und Europäische Gesellschaft (SE)
Für die KGaA und die SE gelten die Erleichterungen des COVID-19-Gesetzes ebenfalls entsprechend. Aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben gilt für die SE allerdings die Möglichkeit, die Hauptversammlung später als sechs Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs durchzuführen, nicht. Initiativen zur Anpassung auch des europäischen Rechts sollen immerhin bereits auf den Weg gebracht sein.
Fazit: Das eilends geschaffene COVID-19-Gesetz kann einen wichtigen Beitrag leisten, um die durch Versammlungsbeschränkungen bestehenden Hindernisse für Hauptversammlungen abzumildern. Bei der Nutzung der eröffneten Möglichkeiten zur elektronischen Teilhabe gilt es allerdings, die damit verbundenen technischen Anforderungen zu meistern. Die bei virtuellen Hauptversammlungen zulässige Beschneidung elementarer Aktionärsrechte mag auf den ersten Blick erstaunen. Angesichts der drohenden Gefahren erscheinen sie jedoch für den begrenzten Zeitraum des Jahres 2020 hinnehmbar, damit auch den berechtigten Interessen der Gesellschaften und ihrer Aktionäre als Gesamtheit Rechnung getragen werden kann. Soweit im Einzelnen bei der Anwendung Zweifelsfragen auftreten, sind diese auch dem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren geschuldet. Leitlinie sollte hier die Intention des Gesetzes sein, den betroffenen Gesellschaften möglichst geringe Anforderungen und rechtliche Risiken aufzubürden.
Zu den durch das COVID-19-Gesetz geschaffenen Erleichterungen für die Beschlussfassung der GmbH siehe: http://menoldbezler.de/de/aktuelles/gesellschafterversammlungen-und-beschluesse-in-einer-gmbh-in-zeiten-der-corona-krise
In dieser Mandanteninformation können die angesprochenen Themen nur schlagwortartig und in gedrängter Kürze dargestellt werden. Die Lektüre ersetzt also in keinem Fall die individuelle Rechtsberatung.
Auch bei weiteren Fragen zu rechtlichen Themen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie können Sie sich gerne an unsere Taskforce wenden. Diese erreichen Sie unter: taskforce@menoldbezler.de