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Elektronische Bereitstellung von Vergabeunterlagen
Seit dem 18. April 2016 müssen Auftraggeber grundsätzlich schon zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung die Vergabeunterlagen vollständig elektronisch zum Abruf bereitstellen. Ausnahmeregelungen, die insbesondere technische Hindernisse betreffen, dürften für die breite Masse der Vergabeverfahren nicht relevant sein. Doch nicht in jedem Fall müssen alle Unterlagen schon zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zum Abruf bereitgestellt werden - eine genaue Prüfung des Einzelfalls kann sich für Auftraggeber lohnen! Es spricht vieles dafür, dass die Frage, wann Vergabeunterlagen zum Download bereitzustellen sind, und die Frage, welchen Inhalt diese Unterlagen haben müssen, jedenfalls bei zweistufigen Verfahren voneinander zu trennen sind.
Regelungen der VOB/A
Gemäß § 12 a EU VOB/A muss schon die Bekanntmachung die Internetadresse benennen, unter der die Vergabeunterlagen zum Abruf bereitstehen. Bei zweistufigen Verfahren (z.B. nicht offenes Verfahren oder Verhandlungsverfahren) erhalten die ausgewählten Bewerber im Rahmen der Aufforderung zur Angebotsabgabe jedoch (erneut) eine Internetadresse, unter der die Vergabeunterlagen direkt lektronisch zur Verfügung gestellt werden. Es erscheint wenig überzeugend, dass unter diesem Link die bereits aus dem Teilnahmewettbewerb bekannten Unterlagen abrufbar sein sollten. Offenbar umfasst der Begriff der „Vergabeunterlagen“ „potentziell“ also durchaus unterschiedliche Bestandteile. Allein die Vorgabe, dass „Vergabeunterlagen“ bereits zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung vollständig zum Download bereitstehen müssen, beinhaltet dann noch keine Aussage darüber, welchen Inhalt diese Vergabeunterlagen zu diesem Zeitpunkt bereits haben müssen. Soweit also § 8 EU VOB/A Vergabeunterlagen abschließend definiert, dürfte sich diese Definition nur auf den Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe beziehen. Welche Unterlagen jedoch bereits in einem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb zur Verfügung zu stellen sind, definiert die Vorschrift nicht.
Anwendungsbereich der VgV
Demgegenüber berücksichtigt die Definition in § 29 Abs. 1 VgV sowohl die Aufforderung zur Abgabe eines Teilnahmeantrags als auch die Aufforderung zur Angebotsabgabe. Der Vorschrift zufolge umfassen die Vergabeunterlagen „alle Angaben, die erforderlich sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen.“ Die Definition der Vergabeunterlagen in § 29 Abs. 1 VgV lässt sich so verstehen, dass im offenen Verfahren und im nicht offenen Verfahren als zugelassene Regelverfahren, regelmäßig sämtliche für die Angebotsabgabe erforderlichen Informationen, also insbesondere die Leistungsbeschreibung und der Vertrag, bereits zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zum Abruf bereitgestellt werden müssen.
Für andere zweistufige Verfahren, die lediglich bei Vorliegen bestimmter Ausnahmetatbestände zulässig sind, ist dieser Umfang jedoch oft nicht ohne Weiteres erforderlich, um über eine Teilnahme an dem Verfahren entscheiden zu können. Der Umfang der bereit zu stellenden Unterlagen dürfte aber mit dem Umfang der Spielräume im Hinblick auf die Leistungserbringung korrespondieren. Bereits im Teilnahmewettbewerb bekannt zu geben dürften daher nicht verhandelbare Mindestanforderungen sein sowie die Verfahrensbedingungen. Im Übrigen dürfte es ausreichend sein, die wesentlichen Rahmenbedingungen, die den Kern der Leistung ausmachen, zu beschreiben, insbesondere um eine Planung im Hinblick auf die benötigten Kapazitäten und/oder Ausstattung bzw. eine erforderliche Einbindung von weiteren Unternehmen als Nachunternehmer oder als Bietergemeinschaft zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund der in den Standardformularen nunmehr vorgesehenen Zeichenbegrenzung kann eine solch ausführliche Beschreibung weitere hilfreiche Informationen liefern, auch wenn sie noch nicht eine vollständige Leistungsbeschreibung enthält oder ggf. entwurfsweise vorgeschlagene Vertragsmodalitäten mitteilt. Da VgV und VOB/A dieselbe EU-Richtlinie umsetzen, dürfte Vorstehendes im Anwendungsbereich des zweiten Abschnitts der VOB/A entsprechend gelten.
Fazit: Im Grundsatz gilt, dass die Vergabeunterlagen zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung zum Download zur Verfügung stehen müssen. Wie weit der bereitzustelende Inhalt jedoch reicht und welchem Adressatenkreis gegenüber die jeweilige Internetadresse mitzuteilen ist, kann sich je nach Verfahrensgestaltung im Einzelnen doch stark unterscheiden. Insbesondere bei zweistufigen Verfahren dürfte der Umfang der Vergabeunterlagen, die bereits zum Zeitpunkt der Auftragsbekanntmachung bereitgestellt werden müssen, mit dem Umfang der bestehenden Spielräume in den jeweiligen Verfahren korrespondieren.
Natürlich bleibt es dem Auftraggeber unbenommen, im Teilnahmewettbewerb bereits dieselben Unterlagen zum Abruf bereitzustellen wie später im Rahmen der Aufforderung zur Angebotsabgabe, ohne insoweit zwischen ein- und zweistufigen Verfahren zu differenzieren. Dies kann insbesondere im Hinblick auf die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB sogar empfehlenswert sein. Eine Verpflichtung dazu lässt sich aus den Bestimmungen der VgV und der VOB/A jedoch nicht ohne Weiteres ableiten. Vor dem Hintergrund der grundlegenden Bedeutung wären allerdings klarere und für den Bereich der VgV und der VOB/A einheitlich formulierte Regelungen wünschenswert.
Weiterführende Informationen
Einen ausführlichen dreiteiligen Beitrag von Dr. Valeska Pfarr zu diesem Thema finden Sie im „Vergabeblog“: http://www.vergabeblog.de/2016-09-04/die-elektronische-bereitsteNung-von-vergabeunterlagen-vier-fra-gen-teil-1-2/
Der Artikel beleuchtet auch die Ausnahmen oder Spezialregelungen zum Umfang der bereitzustellenden Unterla¬gen bei Interessensbekundungsverfahren, sowie im Anwendungsbereich der Konzessionsvergabeverordnung, der Sektorenverordnung und der VSVgV.