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Ein schmaler Grat: Ausschreibungspflicht bei interkommunaler Zusammenarbeit?
Der klassische Öffentliche Auftrag und die vergaberechtsfreie Zusammenarbeit im Sinne des § 108 Abs. 6 GWB sind seit jeher schwierig abzugrenzen. Auch die aktuelle Entscheidung des EuGH liefert bei genauerer Betrachtung nur wenig Neues.
Mehrere Landkreise haben einem Zweckverband die Aufgabe übertragen, die in ihrem Gebiet anfallenden Abfälle zu verwerten und zu entsorgen. Der Zweckverband kann selbst jedoch nur aufbereitete Restabfälle entsorgen. Also schließt er mit einem weiteren Landkreis eine Kooperationsvereinbarung: Der Landkreis übernimmt die beim Zweckverband anfallenden Abfälle und bereitet diese in seiner Anlage biomechanisch auf – die anschließende Entsorgung bleibt jedoch Sache des Zweckverbandes. Die Kosten für die Behandlung hat der Zweckverband zu erstatten. Außerdem erklärt sich der Zweckverband im Gegenzug bereit, Abfälle zu übernehmen, die im Rahmen der hoheitlichen Beseitigungspflicht des Kreises anfallen. Fällt die Anlage des Landkreises einmal aus, soll der Zweckverband „soweit möglich“ die Abfälle zunächst auf seinem eigenen Gelände zwischenlagern – so die Absprache.
Ein privates Entsorgungsunternehmen griff die Vereinbarung vor der Vergabekammer an. Der Vorwurf: Die Kooperationsvereinbarung sei eine unzulässige Direktvergabe. Dem folgte die Kammer nicht. Die zwischen dem Zweckverband und dem Landkreis getroffene Vereinbarung sei eine zulässige Form der horizontalen interkommunalen Zusammenarbeit und damit nach § 108 Abs. 6 GWB vergaberechtsfrei. Gegen die Entscheidung legte der Abfallentsorger sofortige Beschwerde ein, da es an einem kooperativen Konzept fehle. Der Vergabesenat wandte sich daraufhin an den EuGH, da er sich nicht in der Lage sah, zu beurteilen, ob die Vereinbarung nach Art. 12 Abs. 4 lit. a der Richtlinie 2014/24/EU „eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern [begründet] mit dem Ziel sicherzustellen, dass von ihnen zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden“. Schließlich beschränke sich der wesentliche Inhalt der Vereinbarung auf die Behandlung von Abfällen des Zweckverbands durch den Landkreis gegen Entgelt. Die anderen Regelungen erwiesen sich letztlich – wie sich im Verlaufe des Verfahrens ergab – als nur rein theoretisch und nie zur praktischen Umsetzung gedacht.
Zur Vorlagefrage:
Das Gericht wollte vom EuGH wissen, wie Art. 12 Abs. 4 Buchst. a der RL 2014/24/EU auszulegen ist. Diese setzt für die Vergabefreiheit voraus, dass die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit auf einer gemeinsamen Zielsetzung der beteiligten Auftraggeber beruht.
Der Begriff „Zusammenarbeit“ wird in der RL 2014/24/EU nicht definiert. Die „Zusammenarbeit“ bilde laut EuGH aber den zentralen Begriff in der Bestimmung des Art. 12 Abs. 4 der RL 2014/24/EU. Zur Präzisierung stellt der EuGH klar, dass eine „echte Zusammenarbeit“ gemeint sei. Dies ergebe sich daraus, dass die Zusammenarbeit der öffentlichen Stellen nach der Richtlinie auf einem kooperativen Konzept beruhen soll. Vereinfacht gesprochen: Die beteiligten Auftraggeber müssen sich auf Augenhöhe begegnen und eine „echte“ Kooperation anstreben.
Diese Voraussetzung liege nicht vor, wenn sich der einzige Beitrag des Kooperationspartners auf eine bloße Erstattung von Kosten beschränke. Sonst bestünde kein Abgrenzungsmerkmal einer solchen vergaberechtsfreien Vereinbarung zu einem vergabepflichtigen Öffentlichen Auftrag. Bei einer Kooperationsvereinbarung müssten die beteiligten Auftraggeber gemeinsam ihren Bedarf und die Lösungen dafür definieren. Also wechselseitige Interessen verfolgen, die sich nicht in der Zahlung eines Entgelts erschöpfen.
Ob die vorliegende Vereinbarung das Ergebnis einer gemeinsamen Initiative von Zweckverband und Landkreis gewesen sei, habe das Gericht im vorliegenden Fall zu prüfen. Allein die Übernahme von notwendigen Zwischenschritten in einem Arbeitsvorgang gegen Entgelt genüge für eine Zusammenarbeit zwischen Öffentlichen Auftraggebern nicht.
Fazit:
Der EuGH hat sich an einer Präzisierung des Begriffs der „Zusammenarbeit“ versucht, blieb aber kryptisch. Auch in Zukunft wird es in der Praxis einer Einzelfallentscheidung vorbehalten bleiben, wann eine „echte Zusammenarbeit“ vorliegt und wie detailliert dabei die Öffentlichen Auftraggeber an einem gemeinsamen Konzept arbeiten müssen. Lediglich der zuvor bereits naheliegende Umstand, dass ein bloßer Finanzierungsbeitrag für eine Zusammenarbeit im Sinne des § 106 Nr. 1 GWB nicht ausreicht, wurde nun klargestellt.
Öffentliche Auftraggeber, die eine horizontale Zusammenarbeit außerhalb einer Vergabepflicht anstreben, sollten zur Erfüllung ihrer jeweiligen öffentlichen Aufgaben ein Konzept mit den Kooperationspartnern erarbeiten, das tatsächlich über eine bloß einseitige Kostenerstattung hinausgeht.
Maßgebliche Entscheidung: EuGH, Urt. v. 4. Juni 2020 – Rs. C-429/19