Kontakt

Ob Sie lieber eine E-Mail senden, zum Telefon greifen oder das gute alte Fax nutzen. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.

Anruf unter
+49 711 86040 00
Fax unter
+49 711 86040 01

Die Musterfeststellungklage – ein Novum in der deutschen Rechtsprechung

Fachbeiträge

Die Musterfeststellungsklage ist eine neue Klageart, die das deutsche Recht bislang nicht kannte. Seit dem 1. November 2018 können qualifizierte Einrichtungen, in der Regel Verbraucherschutzverbände, stellvertretend für eine Vielzahl von betroffenen Verbrauchern Klage gegen ein Unternehmen erheben. Die Musterfeststellungsklagen werden im ersten Rechtszug vor den Oberlandesgerichten geführt.

Schon jetzt sind drei Musterfeststellungsklagen anhängig. Die erste wurde gleich am 1. November 2018 von der Verbraucherzentrale in Kooperation mit dem ADAC gegen Volkswagen eingereicht mit dem Ziel, eine Schadensersatzpflicht im Zusammenhang mit dem „Dieselskandal“ festzustellen. Zudem sehen sich die Volkswagen Bank und die Mercedes-Benz Bank mit einer Musterfeststellungsklage konfrontiert. Den Banken wird vorgeworfen, in Autokreditverträgen keine ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrungen verwendet zu haben.

Sammelklage, aber keine class action

Die Musterfeststellungsklage ist nicht mit der amerikanischen class action vergleichbar. Die amerikanische class action, bei der geschädigte Verbraucher selbst klagen, verschafft im Falle ihres Erfolgs nicht nur dem klagenden Verbraucher Ansprüche, sondern jeder Person, die in gleicher Weise wie der Kläger vom vorgetragenen Sachverhalt betroffen ist, unabhängig davon, ob die Person selbst geklagt hat. In einem Musterfeststellungsverfahren klagen nicht die Verbraucher, sondern qualifizierte Einrichtungen, die bestimmte gesetzlich geregelte Voraussetzungen erfüllen müssen und finanziell nicht von privaten Unternehmen abhängig sein dürfen.

In einem Musterfeststellungsverfahren werden zwar wesentliche Fragen vorab geklärt. Die Durchsetzung der Ansprüche der Verbraucher bleibt jedoch einem nachfolgenden Individualprozess vorbehalten. Dies bedeutet: Jeder einzelne Verbraucher muss trotz eines positiven Feststellungsurteils im Musterfeststellungsverfahren selbst gegen das Unternehmen klagen, um einen vollstreckungsfähigen Leistungstitel zu erhalten.

Um sich auf die Feststellungen eines im Musterfeststellungsverfahren ergangenen Urteils berufen zu können, muss der Verbraucher in diesem Verfahren aktiv geworden sein. Das Musterfeststellungsurteil wirkt nur für und gegen Verbraucher, die ihre Ansprüche beim vom Bundesamt für Justiz geführten Musterfeststellungsklageregister angemeldet haben. Allein der Umstand, vom selben Sachverhalt betroffen zu sein, genügt nicht.

Der Verbraucher trägt kein Risiko

Da nicht der geschädigte Verbraucher, sondern nur eine qualifizierte Einrichtung klagebefugt ist, wird der Verbraucher von sämtlichen Prozessrisiken befreit. So übernimmt allein die klagende Einrichtung das Risiko, im Falle des Unterliegens die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Verbraucher können ihre Ansprüche bis zum Ablauf des Tages vor dem ersten Termin beim Klageregister anmelden. Die Anmeldung ist kostenlos und muss nicht durch einen Rechtsanwalt vorgenommen werden. Verbraucher, die sich nicht angemeldet haben, können weiterhin individuell klagen. In diesem Fall kann sich der Verbraucher jedoch nicht auf ein Musterfeststellungsurteil berufen.

Eine für den Verbraucher wichtige Funktion der Musterfeststellungsklage ist die Verjährungshemmung. Die Ansprüche derjenigen Verbraucher, die ihre Ansprüche im Klageregister wirksam angemeldet haben, werden mit Erhebung der Musterfeststellungsklage gehemmt, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Sachverhalt zugrunde liegt wie der Musterfeststellungsklage.

Was bedeutet die Musterfeststellungsklage für Unternehmen?

Da es sich bei der Musterfeststellungsklage um ein Instrument des Verbraucherschutzes handelt, gibt es nur wenige Schutzvorschriften zugunsten der beklagten Unternehmen. Es besteht die Gefahr, dass die Musterfeststellungsklage als Druckmittel gegen beklagte Unternehmen wirkt, da sie in der Regel ein größeres Medieninteresse wecken wird als die Klage eines einzelnen Verbrauchers.

Ein Unternehmen ist zumindest vor mehreren Musterfeststellungsklagen wegen desselben Sachverhalts geschützt und während der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage kann ein Verbraucher, der seine Ansprüche beim Klageregister angemeldet hat, keine Klage gegen das Unternehmen erheben. Bereits anhängige Klagen von Verbrauchern, die ihre Ansprüche anmelden, werden bis zur Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens ausgesetzt.

Immerhin steht für das beklagte Unternehmen bis zum Ablauf des Tages vor dem ersten Termin die Zahl der angemeldeten Verbraucher fest, da ab diesem Zeitpunkt keine neuen Anmeldungen mehr möglich sind.

Die Parteien haben – wie in jedem zivilprozessualen Verfahren – die Möglichkeit, den Rechtsstreit durch einen Vergleich zu beenden. Jedoch prüft das Gericht in einem Musterfeststellungsverfahren, ob der Vergleich als angemessene gütliche Beilegung des Streits erscheint. Die angemeldeten Verbraucher haben dann die Möglichkeit, innerhalb eines Monats den Austritt aus dem Vergleich zu erklären (sog. Opt-out). Der Vergleich wird nur wirksam, wenn weniger als 30 % der angemeldeten Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich erklärt haben. Der Vergleich wirkt für und gegen die angemeldeten Verbraucher, die nicht ihren Austritt erklärt haben. Der Abschluss eines Vergleichs birgt für das beklagte Unternehmen die Unsicherheit, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen ist, wie viele Verbraucher am Vergleichsschluss beteiligt sein werden.

Fazit und Ausblick

Es bleibt abzuwarten, ob sich die neue Klageart in der Praxis bewähren wird. Da die EU-Kommission im April dieses Jahres einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie zu einer europaweiten Verbandsklage veröffentlicht hat, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber die Regelungen über die Musterfeststellungsklage bereits in naher Zukunft an europäische Vorgaben anpassen muss.

Zurück