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Das Lieferkettengesetz kommt!
Überraschend haben sich Bundesarbeitsminister, Bundesentwicklungsminister und Bundeswirtschaftsminister auf einen gemeinsamen Entwurf für ein Sorgfaltspflichtengesetz geeinigt (Lieferkettengesetz). Der in zähen Verhandlungen errungene Kompromiss soll größere deutsche Unternehmen weltweit zur Einhaltung von Menschenrechten in der Lieferkette verpflichten. Eine Ausweitung der zivilrechtlichen Haftung scheint hingegen vom Tisch. Das Gesetz soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Im Folgenden klären wir über die geplanten Regelungen, Risiken und Auswirkungen auf.
Was regelt der Gesetzesentwurf?
Am 3. März 2021 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines „Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ beschlossen. Der Entwurf regelt die folgenden Eckpunkte:
- Das Sorgfaltspflichtengesetz soll ab 2023 für deutsche Unternehmen mit mehr als 3.000 Arbeitnehmern und ab 2024 für deutsche Unternehmen mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern gelten. Eine Erweiterung auf kleinere Unternehmen bleibt vorbehalten.
- Deutsche Unternehmen werden dazu verpflichtet, bei sich und bei ihren Lieferanten auf die Einhaltung von Menschenrechten zu achten. Unternehmen sollen durch Risikoanalyse, Prävention und Folgemaßnahmen sicherstellen, dass im gesamten Produktionsprozess keine Menschenrechte verletzt werden. Damit sollen weltweit Leben und Gesundheit der in der Lieferkette tätigen Menschen geschützt werden, es sollen faire Arbeitsbedingungen und eine gerechte Entlohnung herrschen. Auch eine Ausbeutung der Umwelt zu Lasten von Menschen kann geahndet werden.
- Der Entwurf sieht ein System abgestufter Sorgfaltspflichten vor: Für eigene Beschäftigte besteht eine absolute Verpflichtung zur Wahrung der Menschenrechte. Auch bei direkten Zulieferern müssen betroffene Unternehmen künftig Sorge dafür tragen, dass es in deren Produktion zu keinen Menschenrechtsverletzungen kommt. Die Anforderungen an die Risikoanalyse und etwaige Maßnahmen der Prävention und Abhilfe hängen von Faktoren wie dem Sitz, Branche und bisherigen Erfahrungen mit dem Lieferanten ab. Mittelbare Zulieferer müssen nur anlassbezogen geprüft werden, zum Beispiel auf Hinweis einer Menschenrechtsorganisation. Auch insoweit sollen betroffene Unternehmen Menschenrechtsverletzungen entgegenwirken. Der Abbruch von Geschäftsbeziehungen muss aber nur im äußersten Fall erfolgen. Ergänzend müssen Unternehmen eine Grundsatzerklärung abgeben und jährlich über ihre Bemühungen berichten.
- Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten wird durch das BAFA kontrolliert. Verstöße können mit Zwangs- und Bußgeldern sanktioniert werden, deren Höhe sich am Jahresumsatz orientiert, wenn dieser durchschnittlich über 400 Millionen Euro beträgt (bis zu 2%). Liegt der durchschnittliche Jahresumsatz eines Unternehmens darunter, ist die Obergrenze möglicher Bußgelder für verschiedene Verstöße gestaffelt und beträgt bis zu 800.000 Euro. Liegt ein vorsätzlicher Verstoß vor, erhöht diese Grenze sich auf bis zu 8 Millionen Euro. Außerdem können Unternehmen für bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
Welchen Haftungsrisiken sind deutsche Unternehmen ausgesetzt?
An der Haftung von Unternehmen ändert sich durch das Sorgfaltspflichtengesetz erst einmal nichts. Nach deutschem Recht haften Unternehmen auch weiterhin regelmäßig nicht für Schäden in der globalen Lieferkette. Vorschläge zur Einführung eines besonderen deliktischen Tatbestands sind wohl am Widerstand des Bundeswirtschaftsministers gescheitert.
Neu eingeführt wird aber eine zusätzliche Klagemöglichkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Gewerkschaften: Betroffene von Menschenrechtsverletzungen können durchaus vor deutschen Gerichten klagen. Das anwendbare Recht bestimmt sich nach dem Internationalen Privatrecht und ist meist das Recht des Landes, in dem der Verstoß stattgefunden hat. Dieses ausländische Recht kann – anders als das deutsche Recht – vorsehen, dass ein deutsches Unternehmen etwa für die sorgfaltswidrige Auswahl seines Lieferanten haftet (vgl. den berühmten Fall „KiK“, in welchem ein deutsches Gericht Ansprüche nach pakistanischem Recht wegen Verjährung abgewiesen hat, OLG Hamm, Beschl. v. 21. Mai 2019 - I-9 U 44/19). Oft ist aber eine Klage ausländischer Betroffener aufgrund ihrer Lebensumstände keine echte Option. Das Sorgfaltspflichtengesetz soll es NGOs und Gewerkschaften nun erlauben, in Prozessstandschaft für Betroffene zu klagen und damit ihren Rechtsschutz zu stärken.
Welcher Handlungsbedarf besteht jetzt?
Mittelständler sind vom Sorgfaltspflichtengesetz nicht unmittelbar betroffen. Als Zulieferer dürften sie in der Vertragsgestaltung aber künftig mittelbar mit erheblichen Sorgfalts-, Dokumentations- und Berichtspflichten konfrontiert werden. Hersteller werden versuchen, ihre Sorgfaltspflichten im Wege erweiterter Codes of Conduct auf ihre Lieferanten abzuwälzen. Insoweit müssen sich auch kleinere und mittlere Unternehmen auf zusätzlichen Logistikaufwand einstellen. Aus verbindlichen Verpflichtungen gegenüber ihren Abnehmern zur Einhaltung bestimmter Sozial- und Umweltstandards resultieren außerdem neue Haftungsrisiken. Gegebenenfalls ist der Versicherungsschutz anzupassen. Auch die Vereinbarung von Kontrollrechten gegenüber dem eigenen Lieferanten ist haftungsträchtig, weil Gerichte hierauf eine Haftung für Verrichtungsgehilfen stützen könnten. Lieferverträge müssen also künftig mit besonderer Sorgfalt gefasst werden.
Vom neuen Gesetz direkt betroffene Unternehmen (also Unternehmen mit mehr als 3.000 bzw. 1.000 Beschäftigten) sollten die gewährte Zeitspanne nutzen, um ihre Compliance-Systeme auf die menschenrechtsspezifischen Erfordernisse auszurichten, Screening-Prozesse zu implementieren, Vertragsmuster zu überarbeiten und die Lieferantenstruktur frühzeitig und nachhaltig an die neuen Bedürfnisse anzupassen.
Fazit
Das geplante Sorgfaltspflichtengesetz birgt zusätzliche Haftungsrisiken und wird deutsche Unternehmen vor neue logistische Herausforderungen stellen. Gleichzeitig bietet es Unternehmen die Chance, ihrer Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte entlang globaler Lieferketten gerecht zu werden, ohne deshalb Wettbewerbsnachteile gegenüber solchen inländischen Unternehmen zu fürchten, die unter Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen von weltweit ungleichen Lebensverhältnissen profitieren. Die Bundesregierung verbindet mit ihrem Vorstoß für ein deutsches Lieferkettengesetz die Hoffnung, dass es Impulse für ähnliche Gesetze in anderen Ländern setzen könnte. Auf europäischer Ebene haben Kommission und Parlament bereits angekündigt, mit einer Richtlinie EU-weite Sorgfaltsstandards in der Art eines Europäischen Lieferkettengesetzes einführen zu wollen.